Shelby County Courthouse
von Lucilla

Als ich das Gebäude verlassen hatte, merkte ich, dass ich das Dossier vergessen hatte. Mist, also noch mal zurück. Als ich noch einmal den grossen Raum betrat, in dem Dr. Lecters "Käfig" stand, ließen mich die Wachen gleich durch und sagten mir, dass sie jetzt eine Pause machen würden. Sollte irgendetwas sein, bräuchte ich nur zu rufen. Ich nickte.

Langsam näherte ich mich ihm, wir waren allein in dem großen Raum. Ich stand an der Absperrung vor der Polizeischranke. Er saß am Tisch und las. Langsam drehte er sich herum: "Agentin Starling, was verschafft mir noch einmal die Ehre?"

"Der Bericht, Doktor, ich habe ihn vergessen."

Er kam zum Gitter, seine blauen Augen funkelten. Er hatte den Bericht in der rechten Hand und hielt ihn ans Gitter, aber so weit entfernt, dass ich ihn nur hätte nehmen können, wenn ich durch das Gitter gefasst hätte.

"Bitte, Doktor."

"Ja, Clarice. Kommen Sie her und holen ihn. Oder haben Sie Angst?"

"Ja, habe ich."

"Ich würde Ihnen nie etwas tun. Nie. Außer, Sie bitten mich darum."

Ich kniff die Augen zusammen, dieses gefährliche Spiel fing an, mir zu gefallen. Langsam kletterte ich unter der Schranke hindurch, wohl wissend, was ich tat. Mich ihm nähernd, nahm ich seine flirrende Anziehungskraft wahr. Er sah mir stumm und völlig reglos zu.

"Okay, geben Sie mir den Bericht", sagte ich.

"Kommen Sie näher, Clarice. Näher. Wissen Sie noch, bei unserer ersten Begegnung kamen Sie noch einmal zurück und standen ganz nahe an der Scheibe. Was haben Sie da gedacht?"

"Gar nichts, ich war wütend auf dieses Schwein Miggs." (In Wirklichkeit hatte ich ein wenig das Gefühl gehabt, in seine Arme zu laufen und erinnerte mich immer noch an das Geräusch seines Atems und dass mir seine tiefblauen Augen aufgefallen waren.)

"Haben Sie sich nicht auch ein wenig an mich angelehnt?"

"Kann sein, ja", gab ich zu.

Wir sahen uns in die Augen. Dann streckte er die Hand mit dem Bericht aus und ich griff danach. Als ich ihn hatte, ging ich nicht zurück, sondern auf Lecter zu. Er atmete tief ein, verwundert, mich so nahe zu spüren. (Verdammt, was mache ich hier?) Dann griff seine linke Hand durch das Gitter und fasste in mein Haar. Mein Haar knisterte und seine Berührung brannte förmlich auf meiner Haut. Sanft zog er meinen Kopf zu sich und ich lehnte mich an das Gitter. Was für ein Gefühl, seine Wärme und seine Nähe zu spüren. Es war, als ob Sicherungen durchbrannten, als wir uns küssten. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber er schmeckte nach Blut. Merkwürdigerweise störte mich das nicht. Seine Lippen waren rau und er küsste gut. Als ob er mich in sich hineinsaugen wollte. Wir küssten uns heftiger und meine Hand fasste beinahe gewalttätig nach seiner Schulter. Meine Finger gruben sich tief in seine Haut und er zuckte. Seine rechte Hand griff durch das Gitter unter meine Jacke und zerrte ungeduldig meine Bluse aus dem Rockbund. Dann war seine Hand auf meinem Rücken und ich atmete schneller. Ich presste mich näher an ihn. (Verdammtes Gitter!) Ich setzte einen Fuß durch das Gitter und presste ihn gegen sein Bein. Durch das dünne Nylon spürte ich den rauen Stoff seiner Gefängniskluft. Er keuchte auf und unsere Zungenspitzen berührten sich.

Dann - ein Geräusch. Wir fuhren auseinander.

"Die Wachen, auf der Treppe", flüsterte er. Schnell kroch ich hinter die Schranke zurück. Als die Wachen zurückkamen, stand ich dort und wir sprachen miteinander, als ob nichts gewesen sei.

"Wir sollten unser Gespräch beim nächsten Mal an der gleichen Stelle fortführen."

"Das werden wir, Doktor", sagte ich scheinbar gleichmütig und ging.

Als ich den Raum verlassen hatte, tobten die Gefühle in mir. Was hatte ich da eben getan? Trotzdem, leid tat es mir nicht. Aufgewühlt fuhr ich nach Hause.

Am Abend hörte ich es im Radio; er war ausgebrochen, hatte zwei Wächter getötet und war seitdem auf der Flucht. Mein Herz schlug schneller. Jeder versicherte mir, dass er wahrscheinlich längst außer Landes sei. Trotzdem blieb ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Angst und Faszination.

ENDE

© 2004 by Lucilla

 

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