August

12. November 1994
Theatr Clwyd, Mold

WALES 1994
Regie: Anthony Hopkins / Produktion: Theatr Clwyd / Bühnenstück: Julian Mitchell nach Anton Tschechows Onkel Wanya / Musik: Anthony Hopkins
Mit: Gawn Grainger (Michael Lloyd), Anthony Hopkins (Ieuan Davies), Rhian Morgan (Sian), Leslie Phillips (Alexander Blathwaite), Lisa Orgolini (Helen), Hugh Lloyd (Pocky Prosser) u.a.

Keine Heilung

Es war so etwas wie der aufregendste Tag meines Lebens...
Ich war in Wales, ich war von Hopis umgeben, es war Wochenende und es regnete. Aber das machte nichts, schließlich saßen wir schon seit zwei Stunden im Trockenen - hier im Foyer des Theatr Clwyd. Außer uns schien es nur alte Menschen zu geben. Alte Menschen, die soeben aus dem Nassen kamen, alte Menschen, die sich geduldig in die immer länger werdende Schlange am Buffet einreihten, alte Menschen, die an nichts anderes dachten, als ihren gerade pensionierten Bauch noch vor der Vorstellung vollzustopfen...
Die Stimmung an unserem viel zu kleinen Tisch konnte man nicht gerade als besonders gelöst bezeichnen. Dabei taten wir nichts anderes als das vergangene halbe Jahr auch: Warten. War es Nervosität oder Vorfreude, die mich ein zweites Mal das Theater von oben bis unten durchstöbern ließ? Stets mit Fotoapparat bewaffnet, versteht sich - schließlich mußte alles ordnungsgemäß dokumentiert werden. Es kam mir vor, als wäre ich erst vor einer Woche hier gewesen - mit Katjes und Ännie, damals im Juli, als wir das Theater ein erstes Mal unter Augenschein genommen hatten. Alles sah noch genauso aus, nur daß jetzt ein paar mehr Tony-Bilder an den Wänden hingen. Sie deuteten unweigerlich darauf hin: Tonight's Performance: August, Director: Anthony Hopkins. Überall sein Gesicht. Warum konnte ich trotzdem nicht glauben, ihn in weniger als einer halben Stunde LIVE auf der Bühne zu sehen??
Vielleicht waren wir im Sommer einfach zu lange "hinterher gejagt". An allen Orten schien nur sein Schatten präsent gewesen zu sein: in Port Talbot, im Ogwen Valley, hier in Mold, in Oxford und nicht zuletzt in London! Der Mann war ein Phantom für mich, etwas, das einem im Kopf herumspukt, das man aber nie anfassen kann. Sollte dies doch eines Tages möglich werden, hatte ich immer gedacht, durch irgendeinen glücklichen Zufall, hä, würde das Phantom verschwinden, und ich wäre geheilt - vom T-Virus sozusagen...
Für die Situation, in der ich mich befand, war ich erstaunlich ruhig, selbst, als wir langsam die Stufen zu unseren Eingängen ansteuerten. Der größte Teil der übrigen Hopis schien derweil schon in Spannung zu ertrinken. Nervöses Hin- und Hertippeln, rote Wangen, und Anne kippte sich erst mal einen schönen Wein aus dem Flugzeug hinter.
Da! Der Gong zum Einlaß ertönte und eine nette Frauenstimme wies darauf hin, daß man sich nun auf die Plätze begeben könne. Also, bei aller Coolness, langsam fing auch ich an, flatterig zu werden! Am Platz der Reihe 19 angelangt, wurden erst einmal alle nötigen Utensilien in Reichweite angeordnet: Fotoapparat und Fernglas mit 7-facher Vergrößerung. Puh, war mir plötzlich heiß...
Mit Katja zu meiner rechten und Anne und Daniela P. zu meiner linken Seite, starrte ich auf die viel zu weit entfernte Bühne. Na, wenigstens saßen wir in der Mitte der Reihe. Irgendwo dort unten links war die "Stoppelhaarkolonne" zu erkennen. Man sagt, diese jungen Menschen seien EXTRA aus Bonn und Mönchengladbach, das liegt im fernen Germany, angereist... So was Fanatisches!
Mein Gott, war mir heiß hier drinnen, und jetzt wurde es auch noch stockfinster! Die Bühne war schwarz - wie jetzt?? Also, vergackeiern konnte ich mich auch alleine... Aber was war denn das? Mitten auf der Bühne war plötzlich ein orange leuchtender, winziger Punkt zu sehen. Nichts weiter. Er schwebte einfach so in der Luft. Langsam, ganz langsam wurde nun der Hintergrund erleuchtet. Mann erkannte die Silhouette eines Mannes, der vor einem Haus stand. Und er hielt eine Zigarette in der Hand! Jetzt war es hell genug, um in dem Mann Gawn Grainger zu erkennen, der Typ, den wir vorhin im Foyer noch hatten essen sehen (!) und der den Dr. Lloyd spielte. Ich wußte, es würde noch einen Augenblick dauern, bis ein bärtiger Anthony Hopkins die Bühne betritt, also versuchte ich mich zu entspannen und vielleicht auch mal den Text zu verfolgen.
Oooops! Aber da kam er ja schon angeschlürft! Im beigefarbenen Anzug und mit einem Hut in der Hand! Hatte ich gerafft, was gerade passiert war? Es ging so schnell - und da war er plötzlich! Erstmal ein Foto machen - ohne Blitz versteht sich; und ruhig bleiben, Krisl. Einige Leute drehten sich empört um, als ich den Auslöser betätige, also ließ ich die Sache mit dem Fotografieren lieber bleiben... Nicht, daß ich noch ins Nasse hinausgeworfen wurde!
Wie gut, daß mein Opernglas gerade kaputtgegangen war und ich mit dem Fernglas vorliebnehmen mußte! So erkannte ich wenigstens etwas in den Gesichtern der Schauspieler. Ich sah einen Onkel Ieuan, der erst müde, dann liebeshungrig, stürmisch, voll von schwarzem Humor, betrunken und schließlich resigniert war. Eine Rolle, die aufgrund ihres emotionalen Umfangs wohl jeden Schauspieler anspricht. Und auch wenn des Meisters Glatze in den wütenden Passagen sogar knallrot leuchtete und man Angst hatte, ihn jeden Augenblick mit einem Herzanfall umkippen zu sehen, lag Anne mir ganz schockiert in den Ohren, daß er am Donnerstag viel, viel besser und sensibler gespielt hätte. Daraus leitete ich schon wieder die schlimmsten Befürchtungen in Bezug auf unser kleines Date backstage ab... Was, wenn er schlechte Laune hatte? Und uns gar nicht empfangen wollte? - Uuuh, nicht dran denken; genießen, was man kriegen kann!
Aber auch die schönsten 2½ Stunden dauern nur 150 Minuten, und nach der Vorstellung waren fast alle Hopis in irgendwelchen Örtlichkeiten verschwunden, sei es, um der aufgestauten Aufregung freien Lauf zu lassen oder sich einfach nur zu erfrischen. Ich war gerade noch bei dem Versuch, mir die Röte mit kalten Wasser aus dem Gesicht zu spülen, als Super-Anne mit satten 200 km/h und gehetztem Blicke zur Tür hereingefegt kam: "Bettina!!! Dein Name wird ausgerufen!" Das war der Augenblick, von dem an das Adrenalin Purzelbäume schlug! Die Röte kehrte ins Gesicht zurück, das Hopi-Herz fing an zu pochen, ich wußte mit meinen nassen Händen absolut nichts mehr anzufangen, mal ganz abgesehen davon, daß mich meine schlotternden Knie so sehr in Schach hielten, daß ich beinahe meine ganze Bagage - Rucksack und Remains-Poster - liegengelassen hätte. Was für eine Aufregung! Hektik! Streß! Gehetze! Irgendwann trafen wir unten an der Reception einen kurz vor der Verzweiflung stehenden Bennet, der wahrscheinlich dachte, daß wir überhaupt nicht mehr kommen!
Aber es war ja aus unerklärlichen Gründen gutgegangen. Alle Hopis hatten sich vollzählig zusammengefunden und nach wenigen Minuten führte uns bereits ein dicker Mann durch die dunklen Gänge des Theaters. Oh, mein Gott! Ich brauchte unbedingt ein Patschehändchen... Anne befand sich zwar in meiner Nähe, war aber mit ihrer Coke Light-Büchse völlig überfordert und nervte jeden mit der Frage, ob er nicht einen Schluck möchte.
Nach einem gutgemeinten Versuch, uns Nervenbündel aufzuheitern, führte uns der Stage Manager, Mr. Gordon, durch eine Eisentür und schon befanden wir uns direkt neben der Bühne! Vor uns stand noch der Schreibtisch, an dem Sir Anthony in der letzten Szene gesessen hatte... Ganz offensichtlich waren wir aber noch nicht am Ende unserer Expedition angelangt, denn Mr. Gordon verschwand schon wieder in der nächsten Tür. Im Gänsemarsch stolzierten wir apathisch hinterher. Durch die Tür... scharfe Linkskurve... tapp, tapp... stutz! Stolper... DA STAND ER!!! Dort hinten in der Ecke, keine drei Meter entfernt! Hatte ich gerafft, was passiert war? Als ich wieder zu mir kam, fand ich diese reizende Oscar'92-Brille auf seiner Nase! Wie konnte er uns das bloß antun? Das wäre ja eigentlich ein Grund zum Umdrehen, dachte ich, aber, nun ja, es sprachen doch ein bis anderthalb Argumente fürs Bleiben... Wenn ich mich recht entsinne, war er gerade damit beschäftigt, irgend etwas zu lesen, und erst jetzt fiel mir auf, daß da noch jemand vor uns herlief: Anscheinend eine Angestellte des Theaters, die auch einmal die Gelegenheit nutzen wollte, dem großen Meister die Hand zu schütteln. Der nahm sie gleich in den Würgegriff (nun ja, ich übertreibe, aber das ist purer Neid!) und lächelte allerliebst fürs Foto.
Derweil bildeten wir also die Warteschlange und wurden durch hinter die Bühne wandelnde Schauspieler abgelenkt. Zuerst tingelte Gawn Grainger vorbei, und ich dachte, na, so ganz objektiv betrachtet hat er verdammt gut gespielt, und klopfe ihm - so ließ ich es mir zumindest später berichten - erst einmal kumpelhaft auf die Schulter: "A really great performance, mein Freund!" - "Oh, really? Did you enjoy it?" - "Yes! Terrific!" - Ich hatte gar keine Zeit, mich über meine Extrovertiertheit zu wundern, denn da kam schon die nächste Figur: Eine Frau mit Handtuch über dem Kopf, die mir irgendwie bekannt vorkam... Welche der alten Damen hatte sie doch gleich gespielt?
Schon wieder konnte ich meinen Gedanken nicht zu Ende denken, denn aus mir unerklärlichen Gründen war die glückliche Angestellte verschwunden, und der Sir machte Anstalten, das gemeine Volk zu begrüßen - per Handschlag. Als er den Namen Bettina hörte, schien es in seinem - wie nennt er es immer? - "thick brain" zu klingeln: "Ah, Bettina..." Die wiederum setzte den absoluten Happyblick auf und nahm alles, was sie von des Meisters Hand zu greifen bekam; selbst, wenn dazu gleich zwei von den ihren nötig waren... Trotz Streßsituation fühlte ich mich doch recht amüsiert bei dem Anblick der händeschüttelnden (sie hörte gar nicht mehr auf, nein, ich übertreibe schon wieder maßlos!) Bettina.
Plötzlich blitzte es. Das war Bennet mit seinem Fotoapparat. Ich merkte, da wollte ein Gedanke zu mir hindurchdringen. Leider schien er einen Umweg einzuschlagen, da es eine geraume Zeit dauerte, bis ich auf die Idee kam, auch mal meine Kamera hervorzukramen. Schließlich - ähä - steht man nicht alle Tage so dicht vor Herrn Hopi. Irgendwie habe ich es sogar völlig selbständig fertiggebracht, den Auslöser zu finden! Tja, schade nur, daß der falsche Blitz eingestellt war. Es blitzte 3x hintereinander - für Sir Anthony genug Zeit, erst mal hinter der nächsten Ecke zu verschwinden, so daß ich nun nichts weiter als einen absolut intergalaktischen Gang mit weißen Wänden auf meinem Foto habe... Aber so ein echter Hopi, nicht wahr, der läßt sich durch nichts so schnell unterkriegen! Außerdem mußte umgehend gehandelt werden, denn alle Indizien deuteten darauf hin: Ich war mit Händchengeben an der Reihe! Oh, Dear! Habe ich ihn da gerade mit "Mr. Hopkins" angesprochen??? Wieso mache ich denn so etwas Idiotisches? Dabei hatte ich mir alles so schön zurechtgelegt! "Sir" wollte ich sagen und danke... solche Dinge. Statt dessen stammelte ich vor mich hin und war noch gar nicht fertig, als er sich bereits dem nächsten zuwandte. Seufz!
Horch! Da fiel mein Name! Wie ich die Sache so mitbekam, hatte Tony sich erkundigt, woher wir kamen. Nachdem ihm Annes "South-East-Germany" nicht allzuviel zu sagen schien, verwies sie hilfesuchend auf mich, denn schließlich war Berlin eine handfeste Sache. Er erzählte dann gleich fröhlich drauf los, von wegen er hätte The Innocent hier gedreht, hmhm, im Sommer '92 nämlich. Ja, das waren also die neusten News von der Insel. Sommer '92... das war ein Stichwort, das mich ins Verderben stürzen sollte. Es war, als würde mein zweites Ich losplappern. Ob er sich noch an das Elton John-Konzert erinnere, das am 16. Juni '92 in der Waldbühne veranstaltet worden war? Zwei große blaßblaue Augen blickten mich fragend an. Im Hypnosezustand fielen mir trotzdem zwei Sachen auf: Er hatte seine scheußliche Brille abgesetzt, und er war erstaunlich klein! In fact, ich war mit meinen 1,65 m noch größer als er! So was! Doch mein professioneller Blick vernahm kurz darauf: Auch eine Heizung im Labyrinth eines Theaters am "Piep" der Welt kann als Sitzmöglichkeit dienen! Und ganz offensichtlich wird sie selbst von echten Sirs nicht verschmäht. Nachdem ich dieses kleine Problem gedanklich geklärt hatte, versuchte ich einem angestrengt zuhörendem Tony zu erläutern, daß wir beide am selben Tag auf demselben Konzert waren... Schon damals in meinen nicht-Fan-Tagen war ich höchst erfreut gewesen, als ich davon in der Zeitung erfahren hatte. Mit einem "ja-ja-ich-mag-ZZ Top-ganz-besonders"-Gesicht (siehe Letterman-Show!) stimmte er mir zu, daß es wohl ganz nett war, und ich für meinen Teil fand die ganze Welt auf einmal dufte und freute mich halb kringelig. Also, ich meine, mein zweites Ich. Mein wahres Ich schlug derweil immer feste auf meine Stirn ein und konnte nicht fassen, warum um alles in der Welt ich den armen Mann mit solchem Unsinn zuschütte!! Alles vermasselt, Baby! Du bist eben ein hoffnungsloser Fall!
Als ich uns beide wieder beisammen hatte, fand ich restlos alle Hopis um den großen Meister postiert - für das obligatorische Gruppenfoto. Mr. Gordon war so nett, den Fotographen zu spielen, was die Sache natürlich erleichterte. Ganze sechs Blitze ließ good old Tony über sich ergehen und zuckte selbst bei diversen Umpostierungen nicht mit der Wimper. Und als ich dort so neben ihm stand, war er überhaupt nicht mehr klein, sondern sogar viel größer, als ich immer gedacht hatte! Mal ganz abgesehen von dem gewaltigen Oberkörper, an den man sich auch erst einmal gewöhnen mußte!
Als die Fotos überstanden waren, machte Herr Hopkins doch tatsächlich schon Anstalten, zu gehen! Doch Bettina ließ es nicht geschehen und überrumpelte ihm mit den Worten: "We brought you something!", worauf ihm ein erstauntes "Oh!" entfuhr. Wieder einmal mit lobenswerter Geduld ließ er sich von uns die Hände vollpacken: Mit File Nr. 11, einem Tommy Cooper-Fez gefüllt mit mindestens 10.000 kcal in Form von Pralinen und einem T-Shirt. Letzteres wollte er mir auch gleich entreißen, doch ich bestand auf einer Erklärung, denn beim Bedrucken - man mag es kaum glauben - hatten wir uns ja etwas gedacht. Zu sehen ist darauf eine Karikatur von Sir Tony und darüber die auf den ersten Blick intellektuell nicht sofort zu erfassenden, doch dafür um so kraftvolleren Worte: NICE NICE NICE. Man muß wissen, die Idee mit dem NICE NICE NICE zeugt von ungemeinem Humor, denn sie geht auf einen Sketch von Tommy Cooper zurück, welchen Tony ja u.a. bei den BAFTAs '94 imitiert. Um meinem Stottern endlich ein Ende zu bereiten, tat er uns den Gefallen und las die drei Worte nach altbekannter T.C.-Manier vor! Darüber waren wir alle so happy, daß es auch nicht weiter auffiel, daß er seine Karikatur gar nicht erkannt hat... na ja, so ohne Brille and all...
Man muß sagen, der Mann hat neben seiner bärigen Geduld noch einen weiteren Vorzug: Er ist höflich. So bedankte er sich auch ganz lieb bei allen Fans, die gerade in seiner unmittelbaren Umgebung existierten, transpirierten und möglicherweise auch phantasierten, was als nächstes tatsächlich eintrat! Vier lucky Hopgoblins hatten ganz unerwartet einen Schmatzer auf ihrer Wange sitzen!!! Hatte ich gerafft, was passiert war? Ich kann mich weder erinnern, wo ich stand, wieviel Uhr es war, wie mein Lieblingsplüschtier aussieht noch was kurz vorher und kurz nachher geschah...
Mit dieser Geste schien Sir Anthony sein Soll an Nettigkeiten erfüllt zu haben und verbreitete schon wieder ein Gefühl des Aufbrechenwollens. Doch diesmal hatte Anne-was-hätten-wir-nur-ohne-sie-getan einen lichten Augenblick: Sie bat um ein Autogramm, worauf alle Hopis sämtliche anwesende Taschen auf den Kopf stellten. Zum Vorschein kamen lauter glänzende, glitzernde Tony-Fotos in allen erdenklichen Größen und Variationen. "Where did you get these?" fragte da selbst Sir Anthony mehrmals - au, Backe! Doch man zog sich mit allgemeinen Stammeleien aus der Affäre, darin war man ja inzwischen geübt.
So ließ er sich einige Infos zu Picasso entlocken; er wird ihn spielen! Zu Beethoven ist mir nur folgendes Zitat im Gedächtnis geblieben: "...the script was bloody awful." Darauf folgte "Die neuste News von der Insel, Teil II", und endlich erfuhren wir mit trockenem Mund, daß er ja schon in zwei Filmen aus dem Hause Merchant-Ivory mitgewirkt hat, aaaha. Außerdem scheint er etwas für Münchener übrig zu haben, weil sie so nett mit amerikanischem Akzent Englisch sprechen... Zu guter Letzt hat er uns auch noch verraten, wo er den wohlverdienten Winterurlaub verbringen wird, nämlich in Österreich. Deshalb habe er sich auch vorgenommen, endlich ein wenig Deutsch zu lernen. Alles klar. Was er wohl bei italienischen Fans gesagt hätte, bleibt der Phantasie des Lesers überlassen! Doch: Von wem kann man eine Sprache besser erlernen, als von einem "native speaker"? Also werden wir Sir Anthony wohl in Zukunft bei seinem guten Vorsatz für das neue Jahr ein wenig unter die Arme greifen! Er wird schon sehen, was er von small talk-Bemerkungen á la "ZZ Top - I like them" hat, hähä...
So, nach dem Autogrammschreiben hat wohl auch Sir Anthony bemerkt, daß ein Hopi-Haufen nicht so leicht abzuwimmeln ist und griff demzufolge auf die erfolgversprechende Methode zurück, die unweigerlich zur totalen Paralyse der Opfer führt! Ich persönlich war schon stocksteif, als ich nur mit ansah, was da auf mich zukommen sollte... Daniela aus Bonn behielt wie immer einen kühlen Kopf, Daniela aus Plauen war vorerst keine Regung anzusehen und Annes von Haaren umwehtes Gesicht schien zu sagen: "Oh, baby! Augen zu und durch!" Und noch ehe ich mich mit der Situation vertraut machen, geschweige denn an meine dokumentarische Aufgabe denken konnte, war es auch schon passiert. Hatte ich's gerafft? Soeben hatte ich wirklich und wahrhaftig einen (haarigen...) Kuß von Sir Anthony Hopkins erhalten. (Können Phantome küssen?) Diesmal ging er gerechter vor und so wurde jeder Hopi Teil der Prozedur - nur old Bennet hat sich ohne Probleme mit einem kumpelhaften Schlag auf die Schulter zufriedengegeben.
Meine Sinne hatten automatisch auf Reserve umgeschaltet und so entging mir glücklicherweise auch nicht die Abschiedszeremonie: Wir wurden wieder per Handschlag und mit den Worten "Auf Wiedersehen" - mit englisch-walisischem Akzent! - nach Hause geschickt. Vorher hat uns der gute Mr. Gordon noch hinter der Bühne herumgeführt, Erklärungen gegeben und konnte es gar nicht fassen, daß wir extra aus Germany angereist waren.
Als wir das zweite Mal durch die Eisentür (war sie inzwischen schwerer geworden?) gingen, waren erst 15 Minuten vergangen. Völlig fertig, doch zugleich überglücklich und erregt, beäugten wir unsere tapfer erstandenen Autogramme. So ein gemeinsam durchlebtes Abenteuer verbindet! Es verbindet sogar so sehr, daß wir gar nicht merkten, wie eng ein Golf aus Bonn für acht Personen eigentlich ist! Auf dem Weg ins Hotel schien die Frage nach dem Aussehen des Meisters von viel größerer Wichtigkeit zu sein. Auch in meinem Kopf war außer einem Bart nichts haften geblieben, und ich war heilfroh, mit diesem Problem nicht alleine dazustehen, befand sich das Leiden ja offensichtlich im Bereich der Normalität (?). War sein Hemd fliederfarben, gestreift oder gar kariert gewesen? Und sein Jackett? Beige oder braun-kariert? Trug er überhaupt ein Jackett?? Einig waren wir uns lediglich über die braune Kordhose, das war wenigstens ein Anhaltspunkt...
Glücklicherweise gaben die Foto im Nachhinein Aufschluß und halfen dabei, eventuell erfahrene Gedächtnislücken zu schließen. Wobei ich bei meinem Bericht, das sei an dieser Stelle erwähnt, keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder richtige chronologische Reihenfolge des Erlebten erhebe! Mögen die Mold-Hopis verständnisvoll über eventuelle Fehlinterpretationen und -schilderungen hinwegsehen und alle übrigen Hopgoblins die sicherlich unvermeidbaren Unschlüssigkeiten in der Logik einfach nicht beachten!
So! Hat sich mein Leben nun durch dieses Ereignis verändert? Ist die erhoffte Heilung tatsächlich eingetreten? Die Antwort auf beide Fragen lautet nein. Doch das Phantom aus meinem Kopf ist verschwunden. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. So etwas vergißt man seinen Lebtag nicht! So profan es auch klingen mag: Die Erkenntnis, daß Anthony Hopkins auch außerhalb der Leinwand existiert, zu wissen, daß er einen nicht nur in Überlebensgröße in seinen Bann zu ziehen versteht, hat irgendwie eine beruhigende Wirkung. Aber Heilung?? Im Gegenteil! Ich werde wohl niemals einen Schauspieler mehr verehren als Sir Anthony Hopkins!

© 1994 by Krisl
(Hopkins Files Nr.12)

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