Auf dem Weg zu sich selbst - Sir Anthony Hopkins und der Buddhismus

Eine pseudowissenschaftliche Abhandlung von Anne Junghanns

Ich interessiere mich seit ungefähr zwei Jahren für die buddhistische Lebensphilosophie - und wenn ich auch nur sehr, sehr wenig davon, was ich darüber gelesen, gehört und auch direkt erfahren habe (drei Wochen Mitleben in tibetisch - buddhistischer, schweizerisch - deutscher Dorfgemeinschaft in den italienischen Alpen!) wirklich verinnerlichen und tatsächlich auf Dauer nutzbringend ins reale Leben umsetzen konnte, fiel mir doch immer wieder beim Lesen diverser Interviews mit Sir Anthony auf, daß da Denk-Parallelen bestehen - und zwar zwischen seinen Lebenserkenntnissen, die hart erkämpft sind, so wie er sie jetzt lebt (leben kann) und eben den Weisheiten bzw. den faszinierenden, logisch so einleuchtenden Thesen im Buddhismus über die menschliche Existenz, den menschlichen Geist, den Kreislauf der Welt, des Lebens, des Seins.
Dank des Offenbarens seines tiefinnersten Selbst, konnte bisher jeder, der sich dafür interessierte, verfolgen, daß Anthony Hopkins sich durch und über seine schmerzhaften Erfahrungen (mit sich selbst) zu einem Menschen entwickelt hat, der heute weitaus zufriedener, friedlicher (auch für seine Umwelt) und schöpferischer agiert, als jemals (in diesem Leben!) vorher. Grund dafür sind sein Intellekt einerseits und sein Wille andererseits - diese haben ihn zu Erfahrungen getrieben, die ihn eben zu dem werden ließen, der er heute ist. Die Umwege und Stolpersteine, die er dabei überwinden mußte, das Ausprobieren, das Sich-Immer-Wieder-Ertragen-Müssen und -Wollen und -Können, zeugen von einer Energie, ohne die er wahrscheinlich an irgendeinem Punkt gescheitert wäre, ohne die diejenigen Menschen, die "dem Teufel ins Auge" blicken, letztlich auch scheitern.
Aber bevor ich meine Behauptung, daß Sir Tonys Einstellungen mit einigen der buddhistischen Lehre Ähnlichkeit haben, konkreter bebeispiele, will ich noch erwähnen, daß es sogar eine Art Hintergrund für dieses Denken in Tonys Kopf gibt.
Am 10.11. diesen Jahres habe ich mir - trotz schlimmer moralischer Bedenken! - die unautorisierte Biographie In Darkness and Light von Michael Feenay Callan in Chester als Paperback (nun doch) gekauft. Beim Querlesen und darin Herumblättern, sprang mich das Wort "Buddhism" an, und ich konnte erfahren (so weit mein Englisch das zuließ), daß Sir Tony damals in Topanga, während der Zeit seiner selbst auferlegten Isolation also, Zuflucht in die Bücherwelt gesucht hat. Dabei hat er u.a. etwas von einem gewissen Gurdjieff gelesen (neben Werken von Freud, Jung etc.), einem armenischen Mystiker, der während der 20er Jahre in Tibet lebte und dort zu seiner Theorie fand, die besagt: Der einfache, sterbliche Mensch sei eingeschlafen und handelt nur noch automatisch und nach üblichen Gewohnheitsstrukturen. Diese können jedoch durch mentale und physische Übungen unterbrochen werden, was zum Erwachen führt. (Das war vielleicht Tonys erste Begegnung mit einer Art des Buddhismus.)
Ehe Gurdjieff sich durchsetzen konnte, gab es eine Theorie über die "Gestalt". Das war die Idee eines "organisierten Ganzen", entwickelt als eine emotionale Therapiemethode von Fritz und Laura Peris und bekanntgeworden durch die Hippie-Kultur der 60er Jahre in Kalifornien: Für die "Gestalt"-Verfechter trägt jede menschlichen Existenz eine eigene, persönliche Verantwortung für sich und lebt ausschließlich im gegenwärtigen Moment.
Das hat Ähnlichkeit mit dem konventionellen Zen-Buddhismus, bei dem der einzelne Tag auch als solcher voll ausgeschöpft und genutzt werden soll. Anthony Hopkins nutzte diese (buddhistische) Anschauung, als er Texte spielte, beim Lernen, Wiederholen, Darstellen. Seine Vorstellungen waren zwar meistens Monologe, aber durch die "analytische Isolation" kam schließlich die Wende, die er Edward Vulliamy kurz mitteilte: "Ich habe gelernt, die Verantwortung für alles, was ich tue, zu akzeptieren" (Anm.: Im Buddhismus wird die Eigenverantwortlichkeit des Menschen sehr betont - der Mensch selbst ist "Schöpfer" und Gestalter seines Lebensweges, außermenschliche Naturkräfte haben darauf keinen Einfluß). "Wenn man die Verantwortung für seine Handlungen nicht akzeptiert, ist man so gut wie tot. Da ist keine Gerechtigkeit. Wenn da welche wäre, sollte ich sofort tot umfallen. Da ist nur Glück... und ich war einer der Glücklichen. Wir sind alle nur Hühnerkacke! Das ist die Basis unserer Gestalt. Jeden Tag kannst du dir sagen: Du bist nichts, und du bist frei. Wenn ich morgen nicht mehr wäre, was hätte das für Konsequenzen? Keine. Ich glaube, Bertrand Russell hat etwas ähnliches gesagt. Als ich das gelesen habe, dachte ich: Das ist die Antwort."
Anthony Hopkins lernte zu dieser Zeit einen gewissen Chuck Chamberlain kennen (ist inzwischen verstorben), den er später liebevoll als "einen alten Guru für mich während meiner Tage in Kalifornien" beschrieb. Bei anderen Freunden oder Bekannten fand diese "Gesprächspsychoanalyse", der sich Anthony dabei unterzog, nicht gerade großen Anklang oder auch nur Zustimmung, aber Chamberlain "sagte mir, daß ich es aufgeben solle, jeden und alles zu bekämpfen. Ich habe lange gebraucht, diesen Schritt nach vorn zu gehen, aber ich hab ihn getan."
Das Zurückziehen in sich selbst während dieser Zeit und das gleichzeitige Sich-Öffnen, das ehrliche und verzweifelte Suchen dabei nach einem besseren, leichter begehbaren Weg - auch durch die Hilfe anderer Menschen, haben Anthony Hopkins zu einem reifen und ausgeglicheneren Mann gemacht, der erst durch das Gewinnen "weiser" menschlicher Einsichten fähig wurde, solche schauspielerischen Höchstleistungen zu bringen, wie er sie uns heute beschert.
Was für Einsichten sind das also? Zu lesen waren sie schon öfter - und ab und an widerspricht er sich auch noch. Aber wenn Sir Tony zum Beispiel sagt: "Fordere nichts, erwarte nichts - und akzeptiere alles" oder "Das Leben wird viel fruchtbarer, wenn man nichts mehr erwartet" und "Die Hälfte der Schmerzen entstehen durch unsere Erwartungen an andere" - dann denkt und vor allem handelt er so, wie buddhistische Lehrer den Umgang miteinander vermitteln und lehren. Erwartungshaltungen sind mit ausgeprägtem Ich-Willen verbunden, aber jeder Mensch für sich ist unabhängig und will frei sein - auch im Zusammenleben mit anderen (auf das er als soziales Wesen natürlich angewiesen ist). Jeder Mensch ist also ein Individuum, das Kraft nur aus sich selbst schöpfen kann und nur erleben kann, was in ihm ist. Reflektiert wird das natürlich durch seine Umwelt, aber jedes Gefühl, jede Stimmung des Menschen hat seine Wurzeln nur in ihm selbst. Wenn also Erwartungen an einen Mitmenschen gerichtet werden, sind das zum einen Erwartungen an einen selbst und zum anderen eine Anmaßung dem anderen gegenüber.
Die Haltung von Sir Anthony, keine Erwartungen mehr in sich zu schüren, hat also unmittelbar mit der Achtung vor anderen Menschen zu tun (und nichts mit Anspruchslosigkeit oder Gleichgültigkeit). Konsequenterweise kann es so auch nicht zum Verachten anderer kommen (O-Ton Tony: "Ich glaube nicht, daß ich überhaupt irgend jemand verachte.")
Noch gereifter erreicht man sogar die bewußte Achtung vor dem Mitmenschen, die auch Mitleiden läßt: "Sei freundlich, hab' Mitleid, sei nicht böse. Und wenn wir selbstsüchtig sind und unfreundlich, was wir jeden Tag neu sind, dann müssen wir uns das vergeben und versuchen, es nicht wieder zu tun. Das ist im Großen und Ganzen das Prinzip, positiv zu leben."
Gerade das Mitleiden, das Mitfühlen, die Liebe dem anderen Menschen gegenüber ist im buddhistischen Denken als höchste Form geistigen Seins verankert und angestrebt. Und hier kommt auch das Gesetz über das Karma gut hervor: Ursache und Wirkung also, gib Liebe und dir wird Liebe entgegengebracht, sei positiv und dir wird Positives geschehen - bist du aggressiv zu jemandem, wird er aggressiv auf dich reagieren usw.
Auch das Zeitgefühl, Zukunftspläne und damit verbundener Wille, Ehrgeiz und Einstellung ändern sich mit dieser Lebenseinstellung. "Ich lebe einfach für heute; das ist alles." Die Kausal-Kette wird dabei nicht mehr zum Strick, denn alles verliert an aufgeblasener, letztlich unwirklicher Bedeutung und Wichtigkeit. Man denkt nicht mehr um Jahre im Voraus. Die damit einhergehenden überflüssigen Ängste fallen weg, somit auch die mögliche Unzufriedenheit und also die Aggressionen gegen sich und andere. Das, was man aktuell tut, macht man sehr bewußt und so auch mit größtmöglichem Einsatz und kann dementsprechend mit dem Ergebnis nur zufrieden sein oder zumindest nicht verärgert im Nachhinein. Man kann nicht später bereuen (oder in der Gegenwart Angst vor dieser möglichen Reue haben), etwas verpaßt oder das Falsche getan zu haben, wenn man im Moment der Tat völlig mit sich übereinstimmt und sagt: Ja - das will ich jetzt - genau so.
Natürlich kann sich kein Mensch bis in die tiefsten Tiefen selbst analysieren (außer eben vielleicht buddhistische Mönche). Und in jedem Menschen schlummern Ängste, die hemmen oder aggressiv machen, durch die man sich ab und an widerspricht, weil sie die Sicht vernebeln (Beispiel Sir Tony: "Ich hasse schwache Menschen, sie saugen einen aus. Ich kann nicht mit Neurotikern in einem Raum sein", das heißt nichts weiter, als daß er Angst vor seiner eigenen Schwäche hat, die da noch irgendwo in ihm ist und durch andere Menschen schmerzhaft in Erinnerung gebracht wird), Ängste, die einen letztlich unberechenbar machen (auch vor sich selbst). Aber wie man damit umgeht - nämlich sich selbst als sich veränderndes Wesen zu akzeptieren und dadurch andere zu tolerieren, sich selbst zu mögen und dadurch andere lieben zu können, zu dem stehen, was man tut und entscheidet und dadurch die eigene Freiheit ertragen zu lernen und die der anderen akzeptieren zu können, das sind Schritte, die man nach vorn gehen kann, selbst wenn man ganz unten oder / und im Dunkeln steht.
Vielleicht hört sich das pathetisch an und überzogen. Denn eigentlich ist jedes Leben ein kleines, auch das von Sir Anthony - nur: die einen wissen es, früher oder später - und die anderen wollen es nicht wissen und machen sich dieses Leben unnötig schwer.
Dabei hat Sir Anthony es geschafft, sich aus einem verzehrenden Kreislauf zu befreien. Er hat seine Minderwertigkeitskomplexe abbauen können und empfindet das ganze Leben deshalb nicht mehr als leidvoll; Er hat sich auf sich selbst konzentriert - ohne weiter an seinen negativen Gefühlen und an Ver-Irrungen zu haften. Er hat sich sein eigenes Handeln, seine fiktiven Ziele und undurchschauten Denk-Mechanismen bewußt gemacht und dadurch letztlich so viel an Selbsterkenntnis erlangt, um sein ganzes inneres negatives Potential relativieren können.
Ganz gleich, ob diese Entwicklung nun tatsächlich mit den buddhistischen Thesen verglichen - oder ob sie einfach nur als individualpsychologisch beschrieben werden können: Sir Anthony hat es auf seine Weise geschafft, sich seiner individuellen Freiheit wirklich - über viele Umwege - bewußt zu werden. Der Freiheit also, die vor und in jedem von uns liegt - wenn auch oft genug im Verborgenen - und die jede/r sucht - allein - für sich, aber doch inmitten der anderen - immer wieder - und immer weiter...

© 1994 by Anne J.
(Hopkins Files Nr.12)

 

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