Die polygame Kinomanin oder Der hin- und hergerissene Fan

Da wird man also geboren und hat keine Ahnung, was auf einen zukommt. Sobald man laufen, sprechen und verstehen kann, beginnt die Bildungstour: Mickey Mouse im Kino, weitere Disney-Produktionen. Man ist für den Rest des Lebens verdorben. Ab dem sechsten Lebensjahr die ersten jugendfreien Spielfilme. Weiß nicht mehr genau, war alles sehr aufregend...
In den 60'er Jahren große Entdeckung des deutschen Films: Winnetou! Toll, der Wilde Westen und alle so edel! Man borgt sich von einem Freund Karl Mays gesammelte Werke und liest alle in Rekordzeit. Erste große Enttäuschung (selbstverschuldet dank mangelnder Rechenkünste): Der Schatz im Silbersee ist ab 12 Jahren frei, man wird beim Einlaß gefragt, die Tante sagt, das Kind ist bereits 12, man selber verrechnet sich beim Geburtsjahr um eines und gibt ein falsches an (man war erst 10), nix war's. Damals waren die noch genau.
Dann ist man also endlich 12 Jahre alt, entdeckt amerikanische Filme und steht vor der nächsten Hürde: frei ab 16! Es ist die Zeit der großen Epen und Western. Schnell wird man Lex Barker und Pierre Brice untreu und träumt nur noch von Charlton Heston. Erstes Ziel: Nicht sterben bevor man Ben Hur gesehen hat. Im Westen herrscht John Wayne, Offenbarung: El Dorado (da auch noch Robert Mitchum!). Ausgiebigstes Geheule bei Der Marshall (der Held Duke Wayne stirbt!).
Schließlich bekommt der Haushalt auch noch zu allem Überfluß einen Fernseher: Spencer Tracy und Katharine Hepburn, Clark Gable! Zweites Ziel: Nicht sterben bevor man Vom Winde verweht gesehen hat. Und dann ist da auch noch Geheimauftrag für John Drake mit dem sagenhaften Patrick McGoohan. Die Mutter findet den Mann auch toll und läßt es zu, daß man zu nachtschlafender Zeit auch Nummer Sechs mit anschaut. Hey, die Serien kommen aus England, gibt es da etwa auch Filme? Aber klar: Dirk Bogarde als Dr. Sperling; Peter O’Toole in Wie klaut man eine Million (wann wird endlich Lawrence von Arabien wieder aufgeführt?) und Der Löwe im Winter (Mann, ist die alte Katharine Hepburn gut. Wer ist denn der stämmige Kerl, der den aufmüpfigen Richard Löwenherz spielt? Anthony Hopkins? Nie gehört!).
Und dann eines Tages geht man sich den neuesten Hitchcock Marnie angucken und entdeckt einen großen schwarzhaarigen Schauspieler namens Sean Connery. Die Sammelei, die sich bis dahin auf Chuck Heston beschränkt hatte, bekommt ein neues Objekt. Dank ausgiebigem Artikellesen interessante Neuigkeit: Der Mann ist weltweit als Bond, James Bond, bekannt. Wann ist man endlich 16?!? Zwischen Shalako und Verflucht bis zum jüngsten Tag ist es endlich soweit und wie gerufen kommt eine James Bond Retrospektive. Aha, das ist also Bond, in anderen Rollen gefällt einem Sean aber besser.
Musikalischer Abstecher: Im Kino Entdeckung von Gene Kelly, im Radio Johnny Cash (keine Ahnung, von was der Mann singt, klingt aber stark - man sollte sich vielleicht im Englischunterricht doch mehr anstrengen, um dann beim "Man in Black" auch die Worte zu verstehen; gesagt - getan). Man kann Filmmusik auch auf Schallplatte erstehen und zu Hause endlos laufen lassen!
Die 70'er Jahre bringen die letzte Grenze: Nachtvorstellungen und Filme ab 18! Dank exzessivem Englischpauken mit Johnny Cash traut man sich erstmals in einen Film in der Originalfassung (nachdem man ihn auf Deutsch schon fast auswendig kann); Das Filmmuseum bringt eine John Wayne Retrospektive, anderswo laufen The Anderson Tapes, dann Diamonds Are Forever und schließlich My Fair Lady (die englische Aussprache bessert sich erheblich). Wegen Laurence Olivier geht man in Mord mit kleinen Fehlern und macht wieder mal eine Entdeckung: Michael Caine.
1973 begibt man sich wild entschlossen nach London, sieht Zardoz im Kino und wagt sich erstmals ins Theater: Alec Guinness an einem Abend, am nächsten Ingrid Bergman, unglaubliche Sache. Das sollte man öfter machen. Zwei Jahre später ist man fest davon überzeugt, hinter James Stewart seinen Freund Harvey über die Bühne laufen zu sehen.
Filmischer Höhepunkt des Jahres 1976: Der Mann, der König sein wollte (Connery und Caine!). Überhaupt ein tolles Jahr: Robin und Marian und Der Wind und der Löwe (man sollte mal nach Mittelengland, Spanien und Marokko fahren). Und dann im Jahr drauf Die Brücke von Arnheim - Caine mit grünem Schal, Connery beim Golfspielen, ein mittelgroßer Mensch mit Schnurrbart und Blättchen auf dem Helm (Anthony Hopkins? Hey, war das nicht, ja genau, der störrische Richard begleitet von der herrlichen Musik von John Barry!).
Am Ende des Jahrzehnts läuft auf dem Fantasy Film Festival Magic - der Mann ist echt gut, sollte man im Auge behalten.
TV-mäßig kennt man die Brückenausstattung der Orion und der Enterprise inzwischen und freut sich gewaltig über Star Trek - Der Film, etwas langatmig die Sache, aber schöne Bilder und Captain Kirk endlich wieder in Action, was will man mehr. Noch eine Entdeckung: James Cagney, Klasse, daß er den ollen Humphrey Bogart erschießen durfte; Tanzen und singen kann er auch noch! Zwar nicht wie Gene Kelly, aber niedlich.
In den Achtzigern sammelt man, was das Zeug hält: Filmbücher, Soundtracks und dann "the real thing" - Video! Die Fan-Treue verteilt man mehr oder minder gleichmäßig auf die drei Cs (Cagney, Caine, Connery) und den guten alten Captain Kirk (kann schauspielerisch den anderen zwar nicht das Wasser reichen, aber was soll's). Zwischendrin kommt immer wieder der Waliser Hopkins zum Vorschein, aber man hat da so seine Prioritäten. Doch es gibt mal wieder ein Ziel: Da es wohl keine Chance gibt, Caine oder Connery jemals auf der Bühne zu erleben, warum nicht versuchen, Herrn Hopkins zu erwischen, wenn man gerade in London zum Einkaufen ist? Zuvor kommen zwar noch Diana Rigg, Maggie Smith, John Gielgud, Timothy Dalton, Vanessa Redgrave, Dustin Hoffman und die diversen Musicals an die Reihe, doch dann ist es geschafft: M.Butterfly im Shaftsbury Theatre, wow!
In der ersten Hälfte der Neunziger geht der Drang zum Londoner Theater weiter: Glenda Jackson, John Malkovich, Daniel J. Travanti, Joan Collins, Stephanie Powers, Robert Wagner, Jemma Redgrave, Jason Connery (wenn schon nicht der Vater, dann wenigstens der Sohn!), Ian Holm, Dirk Bogarde. Auf heimischen Bühnen: Mikhail Baryshnikov, Peter Ustinov, Shirley MacLaine. Was will man mehr, ach ja, vielleicht doch noch einmal Anthony Hopkins, obwohl er geschworen hatte, nie wieder Theater spielen zu wollen, nachdem er endlich seine wohlverdiente internationale Anerkennung erhalten hatte? Auch dieses Ziel hat man inzwischen erreicht, obwohl der Eindruck von August lange nicht an den von M. Butterfly herankommt.
Was bleibt für die nächsten Jahre? Hoffentlich macht Sean Connery endlich mal wieder einen richtig guten Film, hoffentlich übernimmt sich Anthony Hopkins nicht mit all dem, was er vorhat. Vielleicht hat man doch einmal die Chance, die restaurierten Fassungen von El Cid und Spartacus zu sehen, immerhin hat es ja mit Lawrence of Arabia und My Fair Lady geklappt. Die interessantesten Locations in Spanien, Marokko und den USA hat man gesehen, war in den Straßen, in denen sie leben und lebten, ist Lex Barker auf den Schal getreten, hat Pierre Brices eingegipste Hand bedauert, trank mit Gert Fröbe ein Glas Sekt, lachte Tränen bei Otto Schenk, ging mit Michael Heltau essen, erlebte Klaus-Maria Brandauer als Hamlet, sang über ein Dutzend mal bei Johnny Cash mit, hat Captain Kirk, Mister Spock und fast die ganze Mannschaft der alten und der neuen Enterprise getroffen, stand Sean Connery gegenüber, schlenderte durch Portmeirion und wurde von Sir Anthony Hopkins geküßt.

© 1995 by Claudia W.
(Hopkins Files Nr.14)

 

© Anthony Hopkins Association.
© HopkinsVille. All rights reserved.
www.hopkinsville.de