The Elephant Man
Der Elefantenmensch

USA / GB 1980
Regie: David Lynch / Produzent: Jonathan Sanger und Mel Brooks / Kamera: Freddie Francis / Drehbuch: Christopher DeVore, Eric Bergren und David Lynch (nach einem Buch von Sir Frederick Treves) / Musik: John Morris
Mit: Anthony Hopkins (Dr. Frederick Treves), John Hurt (John Merrick), Anne Bancroft (Madge Kendal), John Gielgud (Carr Gomm), Freddie Jones (Bytes) u.a.

The Elephant Man basiert auf der wahren Lebens- und Leidensgeschichte des 1862 in Leicester geborenen Joseph Carey Merrick. Er litt an multipler Neurofibromatose, einer Krankheit, bei der sowohl die Knochen als auch die Haut von entstellenden Wucherungen befallen sind.
1884 entdeckt der Londoner Arzt Dr. Frederick Treves (Anthony Hopkins) den "Elefantenmenschen" John Merrick (John Hurt) als Attraktion einer Schaubude auf dem Jahrmarkt. Er kann den Besitzer Bytes (Freddie Jones) gegen gute Bezahlung dazu überreden, ihm den "Elefantenmenschen" für eine Untersuchung im Krankenhaus zu überlassen.
John Merrick, der unter den Schlägen des skrupellosen Bytes seit Jahren ein jämmerliches Dasein fristete, ist nicht, wie Treves anfangs angenommen hatte, geistesgestört; Er kann sprechen, lesen und schreiben und besitzt eine ausgeprägte Persönlichkeit. Treves ist entschlossen, Merrick nicht mehr in Bytes' Hände geraten zu lassen und erreicht mit Hilfe seines Vorgesetzten Carr Gomm (John Gielgud), daß sein Schützling im Krankenhaus eine Wohnung mit unbefristetem Wohnrecht erhält.
Inzwischen hat sich die Kunde vom salonfähigen Monster in London verbreitet. Merrick wird zur gesellschaftlichen Sensation. Doch eines Nachts dringen betrunkene, feixende Leute bei Merrick ein, denen Nachtwächter Renshaw (Michael Elphick) die Türen geöffnet hat. Unter den Eindringlingen befindet sich Schausteller Bytes, der sich den "Elefantenmenschen" wieder zu sich holt, auf den Kontinent flüchtet und Merrick erneut auf dem Jahrmarkt ausstellt. Als Bytes ihn aber eines Tages in den Paviankäfig sperrt, befreien ihn die anderen "Freaks".
Der sterbenskranke John Merrick kann mit letzter Kraft nach London zurückkehren. Treves und die Schauspielerin Madge Kendal (Anne Bancroft) arrangieren eine Theatervorstellung zu seinen Ehren, und John Merrick kann sich an dem naiv-kitschigen Pantomimenspiel (Der gestiefelte Kater) mit der Unschuld eines Kindes erfreuen.
Wenig später verkürzt Merrick sein Leiden, indem er sich seinen Wunsch, endlich einmal in der Haltung eines normalen Menschen zu schlafen, erfüllt und dadurch einen Erstickungstod stirbt.

Es gibt Filme, die unterbewußt beeinflussen; Filme, die man nie vergißt; die zwar nicht das Leben verändern können (welcher Film vermag das schon?), die aber einen derart tiefen Eindruck hinterlassen, daß sie für einige Zuschauer gar ein Stück Lebenseinstellung und Weltanschauung werden. Oder anders ausgedrückt: Es gibt Filme, mit denen man aufwächst, als wären sie ein Stück von einem selbst.
Ich möchte behaupten, daß für mich persönlich The Elephant Man zu diesen wenigen Filmen zählt.... Ich sah ihn wohl Mitte der achtziger Jahre zum ersten Mal im Fernsehen.
Damals war ich aufgrund des Titels der festen Überzeugung, es handelte sich um einen Horrorfilm à la Phantom der Oper. Jedenfalls überlegte ich, ob ich mir das überhaupt antun wollte. Eine Fehleinschätzung, die gewiß mit dazu beigetragen hat, daß mich der Film letztendlich dermaßen tief beeindrucken sollte.
Ganz geschickt spielt Regisseur David Lynch in der ersten halben Filmstunde mit den klassischen Mitteln des suspensiven Horrorfilms. Will sagen: Das entstellte Gesicht John Merricks wird dem Zuschauer lange Zeit vorenthalten. Bei Treves Besuch auf dem Jahrmarkt erhaschen wir nur einen flüchtigen Blick auf den "Elefantenmenschen" im dunklen Käfig, und als dieser am nächsten Tag im Krankenhaus erscheint, ist sein Kopf von einem Sack verhüllt. Man hört lediglich seinen rasselnden Atem und Schlürflaute. Treves' Vortrag im Hörsaal präsentiert den "Elefantenmenschen" dann mit den Worten: "Noch nie bin ich einem menschlichen Wesen begegnet, das so entstellt oder entartet war wie dieser Mann." Als er daraufhin den Vorhang öffnen läßt, haben nur Treves' Kollegen freien Blick auf Merrick. Der Zuschauer aber muß mit deren Reaktionen und Merricks monströsen Silhouette vorliebnehmen. Der Suspense, den Lynch auf diese Weise erzeugt und der sich steigert, findet schließlich in der Szene, in der eine Krankenschwester Merrick das Essen bringen soll und wir sein Gesicht dann zum ersten Mal sehen, seinen Höhepunkt. Der Zuschauer, der bis zu dieser Szene in bester Horrorfilm-Manier auf die Folter gespannt wurde und nun die Konfrontation mit dem Grauen in Gestalt des Elefantenmenschen sensationslüstern erwartet, muß sich spätestens jetzt eingestehen, daß zwischen ihm und den schaulustigen Gaffern auf dem Jahrmarkt kein großer Unterschied besteht. War der Filmzuschauer bis zu diesem Punkt nur ein neugieriger Voyeur, der wie das Jahrmarkt-Publikum endlich einen Blick auf den Freak Merrick werfen wollte, schlägt im Augenblick des Blickkontakts die Angst in Sympathie für das Monster um. Während die Krankenschwester beim Anblick des "Elefantenmenschen" hysterisch reagiert und John Merrick daraufhin gleichfalls verschreckt zusammenzuckt, fällt die Identifikation mit dem Monster leicht.
Regisseur David Lynch dazu: "Es ging mir darum, das Publikum mit dem Monster vertraut zu machen, damit das Monster verschwinden und der Mensch zum Vorschein kommen konnte. Die Angst mußte verschwinden, und die Angst verschwindet, je mehr man über eine Sache weiß. In The Elephant Man lernt man, daß die Monster wie wir sind."
The Elephant Man ist in der Tat ein Film, von dem man etwas über sich, die Menschen und Monster lernen kann. Im Verlauf der Geschichte, in der wir den "Elefantenmenschen" schließlich kennen und lieben lernen, verschwindet das Monster hinter dem Menschen John Merrick. Die eigentlichen Monster in diesem Film sind vielmehr die vermeintlichen Menschen, Schausteller Bytes oder Nachtwächter Renshaw. Selbst Merricks Wohltäter Dr.Treves muß sich an einer Stelle des Films fragen, ob seine Handlungsmotivationen nicht vergleichbar mit denen des skrupellosen Mr.Bytes waren. War nicht auch Treves' Interesse am "Elefantenmenschen" zunächst von eher egoistischer Natur, um sich als angesehener Arzt einen Namen zu machen? Der eigentliche Mensch in diesem Film ist ausnahmslos der "Elefantenmensch" selbst.
"John Merricks Charakter bestimmen die Unschuld und das Staunen," erklärt David Lynch. "Er war solange ausgeschlossen von den wunderbaren Dingen des Lebens, von denen er immer gehört hat, die er aber nie gesehen hatte. Seine Traurigkeit in diesem Ausgeschlossensein und dann die Freude und das Glück, wenn er das alles erleben und erfahren kann, das bringt einen fast um den Verstand."
The Elephant Man ist so vor allen Dingen wohl einer der humansten Filme, die je gedreht wurden, ohne daß David Lynch jedoch mit dem moralischen Zeigefinger aufwartet oder ins pathetisch Kitschige abgleitet. Gewiß, natürlich darf bei John Merricks herzzerreißendem Schicksal auch geweint werden, aber die sentimentalen Momente des Films halten sich in erträglichen Grenzen. Dies nicht zuletzt dank der beiden großartigen Hauptdarsteller John Hurt und Anthony Hopkins.

© 1993 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.6)

 

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