Ein Gedicht

Richard Burton: Portrait eines Ertrinkenden
(Übersetzung von Jürgen Theobaldy) entdeckt in der Wochenpost Nr.48/1994

Wer mag er sein,
Der Mann, allein, hier hinten im Saloon,
Wer mag er sein,
Der Mann, allein für sich, der sinnt,
Der sich erinnert,
Was kann er sein?

Die Schultern hochgezogen,
das Gesicht vernarbt, zerklüftet und zerfurcht
Von den bescheidenen Tragödien eines Lebens.
Der schräge Spiegel an der Wand
Mit dem Emblem von Coope & Alsop
Wirft ihm das dünne Haar zurück,
Die vollen Schultern,
Die stillen, affengleich behaarten Hände.
Was ist, was war der Druck,
Der gegen solche hohen Schultern drängte?
Dieser Mann, der allein, für sich sinniert. Dem durch
den Kopf geht, was er sein kann.
Nichts?

Oder lebt er wieder in dem Alptraum
All der Schande, die er durchlitt und andere erleiden ließ,
Das zerrissene Versprechen, das zerschlagene Wort,
Die rote Hand, ertappt beim Griff in die Kasse der Gefühle,
Die Dinge, die er nie getan hat, nie noch tun wird,
Verlorne, wundervolle Dinge. Die aussichtslosen Dinge, längst
verloren

Die heißen Wangen eines Kinds, das lügt,
Die Liebe und der Haß, die Furcht und wieder Liebe, Haß.
Und Gottes letzter, schrecklicher, nicht abwendbarer Zorn.
Hört er den stillen Schrei des Todes?
Geduckt, für sich, und still.
Dieser Mann, allein, hier hinten im Saloon,
Dieser Mann, allein, für sich, der sinnt,
Wer mag er sein?
Ich schaue auf das Halbe Bitterbier.
Ich sehe diesen Mann im Spiegel.
Der Mann sieht mich.

Daß es diverse Ähnlichkeiten und Lebensparallelen zwischen Richard Burton und Sir Anthony Hopkins gibt, weiß nicht mehr nur der informierte und interessierte Fan - es ist ja nun in jeder Klatschpressenzeitung dritten Ranges zu lesen gewesen: Daß beide aus Port Talbot kommen (bzw. kamen), daß Tony sich mal ein Autogramm von Burton geholt hat und spätestens von da an berühmt und reich sein wollte, daß beide also raus wollten aus ihrem Heimatort - um "etwas" zu werden, zu sehen, zu erleben, daß beide Alkoholprobleme kennenlernten...
Burton war es, dem Sir Anthony einen jener seltenen Blitzmomente im Leben verdankt, von denen man wohl nur ganz, ganz wenige hat und die doch so viel entscheiden im Leben. Tony sah Burton mit einem Elektrorasierer und dann auch noch im Jaguar - und dahin wollte er auch, dafür hat er seinen Willen und seine Fähigkeiten in eine Richtung zwingen können - er ging zum YMCA, auf das Cardiff College of Music and Drama, zur RADA usw. usw. - er wurde Schauspieler.
Richard Burton hat der Ruhm letztlich kaputt gemacht. Seinen als Schwäche empfundenen Gefühlen konnte er nur den Alkohol entgegensetzen. Diese "Schwäche", die er trotz immensen Erfolgen bei Film, Frauen und Umwelt immer in sich spürte und letztlich daran verzweifelte. Diese existentielle Schwäche also, die er gerade wegen des Erfolges überhaupt erst so wahrnahm - durch den Druck seiner Umwelt mit ihren Forderungen und Erwartungen und Ansprüchen; die ihn als Held und Helfer sehen wollte, als starken Kerl, als charismatischen Übermenschen, als ewigen Gewinner, der ihnen vormachen sollte, wie es auch gehen kann im Leben.
Aber es ging nicht so, natürlich nicht - und Burton war der letzte, der (sich selbst) etwas vormachen konnte. Jedes Leben bietet nun mal seine Widersprüche und Zweifel und Verzweiflungen... "bescheidene Tragödien eines Lebens..." eben. Und Burton hat sein Leben voll ausgelebt - trotz allem.
Anthony Hopkins hat zum Glück gelernt, mit seiner Wut und seinen Zweifeln um- und "gentle into that good night" zu gehen - bevor es zu spät gewesen wäre. Und er hat es gelernt, bevor der ultimative, so ersehnte und hart erarbeitete Weltruhm mit dem (Hannibal-)Oscar über ihn hereinbrach!
Aber das geht jetzt zu sehr in Richtung Spekulation. Letztlich kann man sich für jeden Menschen freuen, der seine Dämonen los wird, der sich aus einer Abhängigkeit befreien kann - sei es von einer Sucht oder aus einem anderen zerfressenden Kreislauf; der halbwegs zufrieden durch die Gegend läuft und mit seinem Willen etwas anfangen kann. Über das Return-Ticket von Sir Anthony freuen wir uns alle natürlich ganz besonders - obwohl er eben erst durch diese erlebte und überlebte Abhängigkeit zu dem wurde, der er heute ist.
Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich mit dem Ganzen überhaupt sagen will. Ich fand eben nur das Gedicht so toll, das sehr männlich ist, sehr klar, sprachlich so minimal und trotzdem gewaltig. Ohne jeden Schnick-Schnack.
Und damit mein Beitrag ebenfalls letzteres Urteil abbekommt, höre ich hier auf.

© 1995 by Anne J.
(Hopkins Files Nr.13)

 

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