Hannibal
Hannibal

USA 2001
Regie: Ridley Scott / Produzent: Dino De Laurentiis, Ridley Scott u. Martha De Laurentiis / Drehbuch: David Mamet u. Steven Zaillian nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Harris / Musik: Hans Zimmer / Kamera: John Mathieson
Mit: Anthony Hopkins (Hannibal Lecter), Julianne Moore (Clarice Starling), Gary Oldman (Mason Verger), Ray Liotta (Paul Krendler), Giancarlo Giannini (Inspektor Pazzi), Frankie R. Faison (Barney) u.a.

Warten auf die Konfrontation

Vorwort

Lange scheute ich davor zurück, eine Kritik zu dem Horror-Thriller Hannibal von Ridley Scott zu verfassen. Immer wieder hielt ich mir vor Augen, daß diese Kreation ein besonders komplexes und sehr umfassendes Ganzes - nicht zuletzt aufgrund des heikles Themas Menschenkannibalismus - ist, aus welchem ich wahrscheinlich sowieso nur einige wenige Fetzen herausgreifen und beurteilen könnte. Doch der Film ließ mir keine Ruhe. Wieder und wieder schaute ich mir dieses Movie an - in allen hier in Deutschland verfügbaren Versionen: Als FSK16-VHS-Video in Deutsch, als FSK18-DVD-Version in Deutsch und vor allem als FSK18-DVD-Version in Englisch. Und schließlich und endlich "juckte" es mich dann doch derartig in den Fingern, daß ich beschloß, für den Anfang zumindest eine der verschiedenen Versionen zu beurteilen. Ich kann einfach nicht anders. Es liegt in meiner Natur, daß ich etwas über Filme, die ich wieder und wieder ansehe, welche ich innerlich verschlinge, wie ein Tiger sich seine Beute einverleibt, schreiben MUSS. Im folgenden möchte ich auf die FSK16-Version (VHS) von "Hannibal" zu sprechen kommen. Wenngleich ich gerade diese ob der Kürzung und der grausamen deutschen Synchronisation am schlechtesten finde. Ich sage schon im Voraus: Es wird ein langer Weg bis zum Ende werden - aber: der Weg ist bekanntlich das Ziel, und dies sollte man vor allem bei einer Filmkritik immer im Hinterkopf behalten.

Entstehung des Filmes

Lange ist es nun her, daß Hannibal[s] Vorgänger Das Schweigen der Lämmer äußerst erfolgreich in den Kinos lief und den Zuschauern neben Gänsehaut, mentaler und physischer Anspannung und gehörigem Nervenflattern auch eine unverschämt große Portion Sympathie für den im Mittelpunkt stehenden schöngeistigen Kannibalen entlockte. Anfang der neunziger Jahre flackerten die schweigenden Lämmer durch die Kinosäle vieler Nationen und begeisterten das anspruchsvolle Publikum. Nicht etwa - kaum vorkommende - triefende Blut- und Innereien-Szenen begeisterten die ansonsten so ekelbegierigen Zuschauer, nein, die grandiose Subtilität der Verfilmung des Romans von Thomas Harris durch Regisseur Jonathan Demme, die vor allem auf die Beziehung der beiden Hauptfiguren, dem Kannibalen Dr. Hannibal Lecter und der angehenden FBI-Agentin Clarice Starling, abhob und die durch verdammt geistreiche Dialoge lebte, ließ die Begeisterung der Kinozuschauer aufleben. Man schrie nach einer Fortsetzung, ja, gierte förmlich danach. Lange ließ man die Zuschauer auf eine solche warten. In der Zwischenzeit kamen bange Fragen auf: - Konnte eine Fortsetzung eines derart erfolgreichen Movies überhaupt gelingen? Alle Welt weiß, daß Sequels ihren Prequels oftmals mehr als hinterherhinken. Doch egal! Ein Produzentenehepaar (Dino und Martha DiLaurentiis) beschloß, den gewagten Schritt zu machen und einen Nachfolger zu kreieren. Man holte sich den Erfolgsregisseur Ridley Scott (Gladiator) an Bord, der sich zudem auch an der Produktion beteiligte und wartete mehr als ungeduldig darauf, daß Thomas Harris seinen Roman Hannibal fertigstellte. Als dieser dann nach langem Warten seitens der Produzenten abgeschlossen war, konnte man sich daran machen, einen Scriptor zu engagieren, der den über 500 Seiten fassenden Wälzer auf kompaktes Filmformat umschrieb und vielleicht auch noch die ein oder andere dramaturgische und epische Besonderheit bzw. Änderung einbaute.

Besetzung

In Sachen Cast wollte man selbstverständlich wieder auf die beiden Protagonisten von Das Schweigen der Lämmer zurückgreifen. Nicht umsonst hatten Jodie Foster und Anthony Hopkins damals für ihre subtilen und überzeugenden Darstellungen von "Clarice Starling" und "Dr. Hannibal Lecter" die in den USA heiß begehrten Academy Awards (Oscars) als beste Hauptdarsteller eingeheimst. Trotz zwischenzeitlicher Zweifel am Filmgeschäft, die durch Hopkins' Mund erklangen und seinen Gedanken, in Rente zu gehen, konnte man diesen als schöngeistigen Kannibalen gewinnen - wohl nicht zuletzt wegen der speziell auf seine Filmfigur ausgelegten Story und einer Gage in Millionenhöhe. Schauspielerisches Können hat vor allem in der Traumfabrik Hollywood einen hohen Preis. Auch bei Jodie Foster wollte man nicht sparen und bot ihr deshalb ebenfalls eine angemessene Summe als Gehalt an. Doch eben diese war der Schauspielerin wohl nicht hoch genug, um dieses Mal in die Rolle der Clarice Starling zu schlüpfen - wird zumindest gemunkelt. Mögliche andere Gründe, warum Foster diesen Film ablehnte, könnten zum einen auch die Tatsache sein, daß der Roman und das Script sehr blutig waren und zum anderen dieses Mal nicht die Figur der Clarice Starling im Vordergrund stand, sondern die des hochintelligenten Kannibalendoktors. Man mußte sich also nach einer anderen Darstellerin für den Part der FBI-Agentin Starling umsehen. Nach vielen Überlegungen fiel die Wahl auf die wandlungsfähige Schauspielerin Julianne Moore (Jurassic Park 2). Die Hauptdarsteller waren also gefunden, es fehlten nur noch einige Nebendarsteller. Bei jenen bediente man sich hauptsächlich italienischer Schauspieler - da die Story des Filmes dies so erforderte. Als berühmtesten Italiener ist Giancarlo Giannini zu nennen, der in Hannibal eine nicht unwichtige Rolle als Commentatore Rinaldo Pazzi übernahm. Ein anderen wichtiger - wenn auch nicht italienischer - Schauspieler, der Bestandteil dieses Filmes ist, heißt Gary Oldman. Der Brite nahm den Part von Mason Verger ein, einem früheren Patienten des damals renommierten Psychiaters Lecter.

Zusammenfassung

Es ist nunmehr zehn Jahre her, daß Hannibal Lecter durch eine blutige Fluchtaktion aus seiner Gefangenschaft entkommen konnte, nachdem er Clarice Starling, damals noch in der Ausbildung beim FBI befindlich, auf die Spur eines Serienmörders führte. Während sich Starling heutzutage Special Agent nennen darf und sich an die Fersen von Drogendealern und sonstigen kriminellen Elementen hängt, verbringt Lecter seine Zeit in Florenz, wo er seinen Schöngeist schult und seine kulturellen Bedürfnisse in einer Zeit der Muße befriedigt. Doch dieser etwas monotone Alltag wird durch die Rachepläne von Mason Verger, einem Millionär und früheren Patienten Lecters, empfindlichst gestört. Seitdem Lecter ihn vor vielen Jahren unter Drogen setzte und ihn im Rausch dazu überredete sich bei lebendigem Leibe die Haut vom Gesicht zu schneiden, ist Verger erpicht darauf, den Doktor auf unendliche Weise leiden zu sehen. Nachdem Starling in einer FBI-Aktion äußerst fahrlässig gehandelt hat, sieht Verger in ihrer Person eine Chance, Lecter zu ködern und versucht durch finanziell-politische Machtspielereien das FBI und Starling zu erpressen. Der Fall Lecter wird darauf hin noch einmal neu aufgerollt, der Kannibale wieder auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher des "Federal Bureau of Investigation" gesetzt. Dem intelligenten Lecter entgeht all dies Treiben natürlich nicht. Voller Scharfsinn schreibt er der nach Hinweisen auf seinen Aufenthaltsort suchenden Clarice einen Brief, in dem er andeutet, daß seine Muße bald vorbei sein wird. Nach einer Verkettung von Umständen kommt der Florenzer Polizist Pazzi Dr. Lecter auf die Spuren und versucht selbst, ihn dingfest zu machen, um von Mason Verger ein beträchtliches Kopfgeld zu kassieren. Die übereilte Eigeninitiative von Commentatore Pazzi läuft jedoch schief, Lecter hat ihn schnell durchschaut und bringt ihn nachdem er ihn erfolgreich verhört hat um. Trotz des Verlustes des Commentatores hat Mason Verger erreicht, was er wollte: Nachdem er durch die Bestechung des Justizbeamten Krendlers die berufliche Karriere Starlings zu zerstören scheint, setzt sich Hannibal auf die Fersen von Clarice. Es gelingt Vergers Männern, Hannibal zu kidnappen. Später eröffnet Mason Lecter seine Pläne: Er will den Doktor von Wildschweinen bei lebendigem Leib von Kopf bis Fuß verspeisen lassen. Doch kurz bevor die Schweine zuschlagen können, kann Starling Hannibal befreien. Sein Leben und seine Verhaftung scheinen ihr die einzige Rettung für ihre in Verruf geratene FBI-Karriere zu sein. Aber es kommt etwas dazwischen: Starling wird bei ihrer Befreiungsaktion von einer Kugel getroffen und geht bewußtlos zu Boden. Der inzwischen entfesselte Lecter nimmt sie mit sich in das Landhaus von Paul Krendler, dem korrupten Justizbeamten, in welchem er auf diesen schon mit einem Festmahl ganz besonderer Art wartet. Nach einem aufreibenden Abendessen mit vielen blutigen Überraschungen gelingt Lecter erneut die Flucht, doch muß er diesmal etwas auf der Strecke lassen: seine linke Hand. Trotz dieses Umstandes sitzt er schon im Flugzeug, welches seine Flucht garantiert und bietet zwischenzeitlich einem kleinen Jungen eine besondere Köstlichkeit zu essen an...

Beurteilung des Filmes

Ich habe mir diesen Film insgesamt an die dreißig Male angeschaut. Zum einen tat ich dies, weil ich begeistert von der Gesamtheit dieser Kreation war, zum anderen schaute ich das Movie derart oft, da ich manche kausalen Ungereimtheiten erst nach wiederholtem Zuschauen entschlüsseln konnte. Was ließ mich so begeistert sein? Ist der Film es wirklich wert, so oft angeschaut zu werden? Nun, wenn man erwartet, daß Hannibal eine stringente Fortsetzung zu Das Schweigen der Lämmer ist, dann wird man herb enttäuscht. Nichts am hauptsächlich im kulturell-monumentalen Florenz spielenden Hannibal erinnert an Das Schweigen der Lämmer, welches sich vor allem in dunklen, kerkerartigen Gefilden abspielt. In Hannibal wird keineswegs besonderes Augenmerk auf die Beziehung und die Dialoge zweier Personen gelegt, zudem finden keine offensichtlichen, genialen Geisteskombinationen statt. Das Grauen, was in Das Schweigen der Lämmer auf subtilem, auf Geistes- und Gedankenebene stattfindendem Weg, daherkam, wird in Hannibal in blutiger, manchmal schon ekelhafter Manier präsentiert. Doch trotz dieser einfacheren Ebene der Grauenspräsentation, oder gerade wegen ihr, kann in Hannibal Spannung aufgebaut werden, die jener in Das Schweigen der Lämmer ebenbürtig ist. Was aber in diesem Film fasziniert denn nun besonders? Was ist es, das den Film Hannibal zu einem wirklich fesselnden Horror-Thriller macht? Was baut die Spannung auf? Nun, es ist leider so, daß die ersten zwanzig Minuten des Filmes mehr oder weniger verplempert wurden. Anscheinend sollen sie einerseits zur Einführung in die gegenwärtige beruflich-soziale Situation von Special Agent Clarice Starling dienen. Wir sehen, wie die Frau einen Einsatztrupp von Männern anführt, wie sie dies ziemlich selbstsicher macht. Wir sehen aber leider auch, wie sie den Obersten der hiesigen Polizei nicht recht bändigen kann, wie aus einem routinemäßigen Einsatz eine große Metzelei wird, die sechs Menschenopfer mit sich zieht. Zu allem Überfluß schießt Starling auch noch auf eine HIV-positive Frau, die ihr Baby um den Bauch gebunden hat. Zur Verteidigung von Clarice muß man jedoch anmerken, daß die Kriminelle wie eine Verrückte mit ihrer großkalibrigen Waffe auf Starling gefeuert hat. Was also bleibt dem Special Agent anderes übrig, als ihr eigenes Leben zu verteidigen und auf die schießwütige Frau zu zielen. Man möchte sich also fragen, warum Starling nach dieser Aktion vor einem Ausschuß steht, vor dem sie sich ob des mißlungenen Einsatzes verantworten muß. Trotz aller Mißlungenheit der besagten Aktion frage ich mich auch noch nach dem dreißigsten Ansehen, warum Starling sich rechtfertigen muß, was sie falsch gemacht hat. Ich sehe den springenden Punkt nicht. Doch muß ich zu meiner eigenen Verteidigung feststellen, daß ich selbst die Regeln des FBI nicht kenne und dort auch niemals angestellt gewesen bin. Nun ja, ein Knackpunkt mag das Baby der Toten sein. Wegen Starlings Schuß in die Halsschlagader der Kriminellen ergoß sich eine Fontäne von HIV-infizierten Blut auf das Baby. Dieses Risiko wäre vermeidbar gewesen, hätte man einen "trockenen" Schuß in den Kopf der Frau durchgeführt. Ob so etwas wirklich durchführbar ist oder nicht, kann ich aufgrund meiner mangelnden Waffen- und Schießkenntnisse nicht beurteilen, doch wäre dies eine Überlegung wert. Aber wie dem auch sei: Starling schoß die Halsschlagader durch, Blut schoß wie ein Springbrunnen auf das im Brustgurt befindliche Baby der toten Mutter. Schnell löste Starling also das Baby aus seinem Gurt und wusch es unter fließendem Wasser ab. Man hört im Verlaufe des Filmes nichts mehr von dem Kind, weiß nicht, ob es nun auch mit den gefährlichen Erregern infiziert ist, geht aber ob des Stillschweigens davon aus, daß dies nicht so ist. In meinen Augen erscheint der Ausgang dieser Szene als ein wenig zu stark konstruiert, um Starling den schwarzen Peter zuzuschieben, der ihr Übereifrigkeit und Selbstüberschätzung bescheinigt. Viel interessanter ist hingegen das spätere Zusammentreffen Starlings mit Mason Verger, einem Millionär und früheren Patienten Lecters. Schon aus der Anfangssequenz von Hannibal geht hervor, daß Verger reges Interesse an dem kannibalistischen Doktor hegt. In der späteren Szene mit Starling wird verifiziert, warum dies so ist. Der Zuschauer erfährt, daß Verger pädophil ist und damals aufgrund seines netten Lächelns Kinder in sein Haus locken konnte. Wegen dieser perFersen Neigung begab er sich in die psychiatrische Behandlung durch Lecter. Eines Tages lud Verger Hannibal zu sich nach Hause ein, um ihn - so scheint es mir zumindest - dort in seinen mit sadistischen Spielzeugen bereicherten Räumlichkeiten zu verführen. Nachdem Lecter ihm ein Rauschmitteln angeboten und Mason dies erfreut angenommen hatte, war Verger extrem ausgelassen, tollte bewusstseinserweitert durch das Zimmer und fühlte sich leicht wie ein Vogel. Lecter nutzte diesen geistlosen Zustand Vergers dazu, diesem die Instruktion zu geben, sein Gesicht aufzuschneiden und die abgefallene Haut an die Hunde zu verfüttern. Meines Erachtens ist diese Szene die erste mit größerem Ekelfaktor. In der FSK16-Version ist das Gemetzel aber nicht ganz so bilderreich ausgeschmückt worden wie in der ungeschnittenen Form. Da man zuvor kurz von Vergers perFersen Neigungen gehört hatte und deswegen Abscheu gegen ihn entwickelt hatte, kommt es dem Zuschauer nun im Grunde ein wenig entgegen, daß er durch die Selbstskalpierung kein Kind mehr mißbrauchen kann. Ich finde, daß diese Szene alles in allem ein wenig gefährlich ist. Der Zuschauer sieht zwar zum einen, wie kühl und unmenschlich Lecter die Instruktionen zur Selbstskalpierung gibt, zum anderen sympathisiert das Publikum mit dem Psychiater, da er durch seine "Methode" viele Kinderseelen rettet und sie vor potentiellen sexuellen Übergriffen Vergers rettet. So wie Verger nach dieser Hautabschneiderei aussieht, wird kein Kind mehr etwas mit ihm zu tun haben wollen, ihn noch nicht einmal mehr ansehen. So grausam und demütigend diese Methode Lecters auch ist, effektiver könnte sie gar nicht sein. Schauspielerisch ist in der Szene alles in Ordnung, doch frage ich mich bis zum heutigen Tage, wieso Mason Verger im Rollstuhl gelandet ist. Dieser Umstand geht aus dem Film nicht hervor. Hat er sich später, als er wieder bei klarem Verstand war, vor lauter Verzweiflung über sein entstelltes Gesicht von einem Gebäude geschmissen? Was ist passiert? Es bleibt ein Rätsel. Die Sympathie, die man gerade noch für Lecter entwickeln konnte, verfliegt im nächsten Moment aber auch sehr schnell wieder: Auf einem Videomitschnitt des Baltimore Forensic Hospitals von vor mehr als zehn Jahren zeigt sich, wie sich Lecters Zähne im Gesicht einer Krankenschwester vergraben und er in seinem Blutrausch nur noch von zwei Pfleger und mit einem Armbruch von ihr abgebracht werden kann. Meiner Meinung nach ist dies eine ekelhafte Szene, die aber ansonsten ganz und gar nicht in das Bild von Dr. Hannibal Lecter paßt, das sonst in diesem Film herrscht. Es ist einfach nicht glaubwürdig, daß sich solch ein niveauvoller und schöngeistiger Mann in eine solch plumpe und niveaulose Situation begibt, um dann in einen regelrechten Blutrausch zu geraten. Nie zuvor kam uns Lecter wie ein wildes Tier vor, sogar nicht in der berühmten Fluchtszene in Das Schweigen der Lämmer (zwar biß er dort einem Beamten ins Gesicht und erschlug den anderen, doch hörte er zwischendurch noch klassische Musik, etwas, was ein Raubtier nicht tun würde) - auch im weiteren Verlauf dieses Filmes wird man ihn nicht derartig animalisch-triebhaft sehen. Diese sehr kurze Szene paßt nicht recht in den Kontext. Zudem frage ich mich sowieso, wie man einen so gefährlichen Menschen, wie es Hannibal ist, einfach ohne Handschellen und ohne Mundschutz für ein EKG an die Wand stellen kann, gelockerte Haftbedingungen wegen guter Führung hin oder her. Das ist grob fahrlässig und kaum vorstellbar. Nach all diesem Gerede über Lecter durch andere Personen ist es dem Zuschauer in einer späteren Szene dann auch endlich vergönnt, die Hauptfigur des Filmes zu Gesicht zu bekommen. Sichtlich gealtert, aber dennoch sehr gesund aussehend, hat er in Florenz eine vorläufige Anstellung als Kurator in der Capponi Bibliothek bekommen. Sein Vorgänger ist wie aus heiterem Himmel verschwunden - man darf selbst entscheiden, was man hiervon halten soll. Nach einer Diskussion mit den Gelehrten von Florenz trifft er mit dem Florenzer Polizisten Rinaldo Pazzi zusammen, der ihm einige Fragen bezüglich des Verschwindens seines Vorgängers stellt. Hier blüht dann auch sogleich der Scharfsinn und das lose Mundwerk des Doktors auf. Intelligent, wie Lecter ist, erkennt er sofort, daß dem Polizisten sein früherer Fall, ein komplexer Serienmord-Fall mit Namen "Il Mostro", entzogen wurde und fragt ihn diesbezüglich aus. Pazzi antwortet hierauf jedoch sehr entspannt und besonnen. An sich gibt diese Szene nicht viel Spannung her, ist jedoch kausal von Wichtigkeit, da wir hier erfahren, was Lecter macht und daß er hier zum ersten Mal in Kontakt mit Commentatore Pazzi tritt. Zudem ist schön, Hannibal endlich wiederzusehen. Prickelnder wird es wenig später, als Clarice Starling einen Brief erhält, auf dessen Kuvert in Schönschrift ihr Vorname steht und welches elegant versiegelt wurde. Sofort erkennt sie an der Handschrift, daß der Brief von Lecter stammt und beginnt voller Aufregung, das Schriftstück zu lesen. Hier ist den Machern des Filmes - wie ich meine - ein Meisterstück gelungen. Voller Spannung wartet der Zuschauer darauf, daß Clarice den Brief liest und als sie dies tut, wird der Inhalt durch die Stimme Lecters rezitiert und dann auch noch von ihm selbst mit zartem Klavierspiel unterstrichen. Schön! Gegensätzlicher kann eine Szene gar nicht aufgebaut sein. Wir sehen abwechselnd Clarice in ihrem kalten Kellerbüro hocken und Hannibal in einem prächtigen Salon in elegant- bequemer Robe mit zufriedener Mine Klavier spielen. Nebenbei lauschen wir den Worten und stellen fest, daß der Doktor seine Schlagfertigkeit keineswegs verloren hat - und seine Intelligenz natürlich auch nicht. Zunächst erinnert er Clarice auf kokette Weise an ihr berufliches Fehlverhalten der letzten Zeit, um dann auch noch an ihr Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer verstorbenen Eltern zu appellieren: Welches Licht wird nun auf ihre Familie fallen? Würden sie sich, Vater, Mutter und Clarice, als einfache Proleten entpuppen? Dann geht Lecter dazu über, ihr seinen Durchblick zu präsentieren: Er weiß, daß wieder intensiv nach ihm gefahndet wird. Er fühlt und weiß, daß die "Zeit der Muße" vorbei ist, daß er wieder aktiv werden muß. Und: Er freut sich auf ein erneutes Zusammentreffen mit Clarice, auch wenn diese seinen Untergang bekräftigen soll. Ich finde die Szene einfach schön. Zum einen ist sie sehr ästhetisch inszeniert - sowohl in Hinblick auf die Bilder als auch auf die Musik. Zum anderen ist sie gefüllt mit gelungenem Inhalt und der brillianten schauspielerischen Leistung von Anthony Hopkins, der an seinem Flügel geradezu liebenswert ausschaut. Hier wird der Spannungsbogen erst aufgebaut. Nun kann das Rennen losgehen. Man wartet ab nun auf die Konfrontation "Lecter - Starling". Leider muß man auf diese jedoch sehr lange, meiner Meinung nach zu lange, warten. Erst eine halbe Stunde vor dem Ende des Filmes kommt es zur so sehr herbeigesehnten Konfrontation der beiden Protagonisten, was eigentlich schade ist, da der Film vor allem durch das Zusammenspiel dieser beiden lebt. Doch auch ohne die direkte Konfrontation von FBI-Agentin und Kannibalen verliert der Film in dieser Phase nicht an Spannung. Es passiert sehr viel. Zum einen will Starling den Aufenthaltsort Lecters durch Analyse des Briefes herausfinden. Nach einer langwierigen Aktion schafft sie dies auch - doch zu jenem Zeitpunkt kommt dieser Triumph schon zu spät. Zu spät in der Hinsicht, daß sich Rinaldo Pazzi dann schon viel zu nah an den Kannibalen herangewagt hat. Durch einen Zufall entdeckt der Commentatore in seiner Polizeistation, daß das FBI hinter Dr. Fell (wie sich Lecter in Florenz nennt) her ist. Zu Hause findet er auf der Website des FBI heraus, wer Dr. Fell wirklich ist. Er bemerkt auch, daß Mason Verger eine Belohnung von drei Millionen Dollar für die Ergreifung von Lecter zahlt. Von dieser Tatsache hingerissen und somit die Aussicht innehabend, seiner schönen Frau Allegra in Zukunft jeden Wunsch von den Augen ablesen zu können, beschließt Pazzi, sich auf die Fersen Lecters zu hängen. Das erste, was er benötigt, sind Hannibals Fingerabdrücke, damit er zunächst die Abschlagszahlung von 100 000 Dollar kassieren kann. Der ganze Ablauf, wie Pazzi herausfindet, wer Doktor Fell wirklich ist und wie er dann auf die Idee kommt, sich hinter Lecter zu klemmen, um mit der Belohnung seiner Frau ein besseres Leben bieten zu können, ist sehr gut und glaubhaft inszeniert. Ein großes Lob geht hierbei an Giancarlo Giannini, der Pazzi wirklich exzellent verkörpert. Klasse! Er spielt den alternden Polizist, der seine junge schöne Frau über alles liebt und alles für sie tun würde, wirklich sehr glaubhaft. Das nächste, was Commentatore Pazzi tun muß, ist die Fingerabdrücke Dr. Lecters zu beschaffen. Dies ist - wie sich herausstellt - keine einfache Angelegenheit. Hoffnungsvoll meldet sich Pazzi bei Lecter alias Fell, um dort die Koffer des vermißten Vorgängers von Fell abzuholen. Er wettet darauf, daß ihm Lecter dabei hilft, die Koffer vor die Türe zu tragen - somit hätte er die Handabdrücke des Doktors direkt an den Koffergriffen. Aber es kommt anders. Nach einem unangenehmen Fragespielchen Lecters einen gehängten Vorfahren Pazzis betreffend, willigt der Doktor sehr wohl dazu ein, dem Commentatore beim Koffertragen zu helfen. Jedoch streift er sich vor diesem Akt noch Handschuhe über und gibt hierfür den Grund an, daß es in seiner Wohnung sehr kalt sei. Dies ist eine schöne Szene, die von der Schauspielkunst der beiden Akteure lebt. Hopkins stellt die Gefühle der Überlegenheit und des Klarsehens, die Lecter in sich trägt, perfekt dar. Und Giannini schafft es problemlos, seinem Charakter ein mulmiges Gefühl auf das Gesicht zu legen - immerhin steht der Polizist vor einem der gefährlichsten Serienmörder unserer Zeit und ist sich dessen auch bewußt. Es deutet sich in dieser Szene schon an, daß Hannibal Pazzi durchschaut hat. Es wirkt wie eine Warnung, als er auf Pazzis gehängten Vorfahren zu sprechen kommt. Und als er dann auch noch davon spricht, daß manche Menschen anderen einfach das Weiterkommen im Leben verhindern wollen, weiß der Zuschauer, daß Lecter die Lunte gerochen hat. Eine perfekte schauspielerische Leistung wird hier von beiden Darstellern geboten. Commentatore Pazzi muß sich also etwas anderes einfallen lassen, womit er die Fingerabdrücke des Doktors erhaschen kann. Und ihm fällt schnell ein genialer, wenngleich auch gefährlicher, Plan ein: Ein der Florenzer Polizei einschlägig bekannter Brieftaschenbrief soll so tun, als stehle er Lecter das Portemonnaie. Sinn und Zweck der Aktion ist aber, daß Lecter im Affekt des Bestohlenwerdens auf einen vorher extra blank polierten Armreif greift, um den Räuber abzuwehren. Gesagt - getan. Der Räuber, ein langhaariger, etwas schmierig aussehender Italiener, verfolgt den in einen Mantel gekleideten, elegant anmutenden Lecter einige Zeit, um den richtigen Moment abzupassen, in dem er zuschlagen kann. Doch Hannibal bemerkt, daß ihn jemand verfolgt und ist für den Angriff gewappnet. In jenem Moment, als der Räuber zugreifen will, holt der Doktor mit all seiner enormen Kraft aus und schlägt dem jungen Kriminellen in die Genitalien. Danach geht er ohne eine Miene zu verziehen, lässig Kaugummi kauend, weiter. Doch er hat nicht damit gerechnet, daß der Räuber eigentlich nicht auf seine Brieftasche aus war, sondern seine Fingerabdrücke auf dem Armreif abgesetzt haben wollte. Und dies hat funktioniert. Der angeschlagene Räuber übergibt Pazzi den Armreif und stirbt wenig später an den Folgen von Lecters Schlag - anscheinend hatte dieser so fest zugeschlagen, daß die Hoden des Räubers wie überfüllte Wasserbomben aufplatzten. Pazzi läßt den Räuber ohne jede Art der Hilfe sterben, beschleunigt dessen Ableben sogar. Ich finde, diese Szene ist eine der spannendsten des ganzen Filmes. Die Verfolgung des Doktors durch den Räuber ist sehr gut inszeniert und der fliegende Mantel verleiht Lecter enorme Eleganz und Leichtfüßigkeit. Es ist faszinierend, daß Anthony Hopkins in einem Alter von 63 Jahren noch so elegant und jugendlich-lässig dahergehen kann. Den Zuschauer durchfährt ein besonderer Kitzel, als Lecter seinen Lauf kurz arretiert, um an einem Zeitungsstand ein Neuigkeitenblatt zu kaufen - wie es scheint, aber nur, um zu sehen, ob und wer ihn da verfolgt. Lecters blaue Augen verleihen diesem Moment etwas Aufregendes. Er fixiert seinen Verfolger. Aus seinen Augen sprüht absolute Weisheit - er hat durchschaut, daß man ihm folgt. Wenig später, auf dem Marktplatz sieht es so aus, daß Lecter auch sieht, daß Pazzi in die ganze Sache involviert ist. Doch kann er zu jenem Zeitpunkt anscheinend noch nicht ausmachen, daß es erst einmal lediglich um den Abdruck seiner Fingerabdrücke geht. Erschrocken war ich jedoch, daß Lecter dem jungen Räuber mit nur einem Schlag den ganzen Unterleib zerfetzt haben soll. Ist Sinn und Zweck dieser Aktion zu demonstrieren, welch enorme Kräfte in dem durchschnittlich großen und nicht übermäßig muskulösen Lecter stecken? Nun gut, schon damals, als er aus dem Gefängniskäfig in Tennessee floh, war uns klar, daß der Doktor kein Schwächling ist. Aber ist dieser Moment nicht übertrieben? Kann ein Mann mit nicht übernatürlich viel Muskelmasse und ohne einen Gegenstand in der Hand zu halten, ohne groß zu zielen, einem anderen Mann die Hoden zerschmettern? Ich glaube nicht, daß das wirklich möglich ist, verweise an dieser Stelle also auf eine leichte Unglaubwürdigkeit, bin andererseits aber auch ein großer Freund der kompletten Szene, da sie generell wieder einmal für die Übermacht Lecters steht. Schauspielerisch haben alle drei Darsteller hier gute Arbeit geleistet. Kurze Zeit später können die Spezialisten von Verger den Fingerabdruck Dr. Lecter zuordnen. Der Entstellte freut sich wie ein Schneekönig und ruft auf einer Farm in Sardinien an, um sein Personal dort auf einen großen Tag vorzubereiten: Den Tag, an dem Lecter von den aggressiv gemachten Wildschweinen der Farm bei lebendigem Leib verspeist wird. Ich finde die Idee mit den Wildschweinen ein wenig albern. Ich habe noch nie von Killer-Wildschweinen gehört oder gelesen, die einen Menschen aufessen - und dann auch noch bei lebendigem Leibe. Besonders abstoßend und lächerlich finde ich aber die Tonbandstimme, die die Schweine anscheinend animieren soll, blutdurstig zu werden und sich auf ein angebundenes Opfer zu stürzen. Wären die Schweine ohne diese Stimme nicht so aggressiv? Eigenartig, denn normalerweise ist ein Tier aggressiv und benötigt dazu keine akustischen Hilfsmittel. Weniger schweinisch geht es im Verlauf des Filmes weiter. Eine Oper steht in Florenz an, in welche Allegra Pazzi zusammen mit ihrem Mann Rinaldo gehen will. Die schöne Frau ist eine richtige Opernliebhaberin und genießt die Oper - wie man später sieht - in vollen Zügen. Pazzi selbst kann dies aber nicht so recht gelingen. Zum einen ist er kein Kunstfanatiker und kann mit dem künstlerischen Gesang, der Musik und dem Agieren wenig anfangen, zum anderen erblickt er an jenem Abend ziemlich früh Hannibal Lecter alias Dr. Fell, der wenige Reihen vor ihm Platz genommen hat. Nachdem Lecter den Geruch Pazzis aufgenommen hat, dreht er sich um und schaut Pazzi direkt ins Gesicht. Der aufgeregte Pazzi hat Angst, der Doktor könne ihn durchschauen und muß aufgrund seiner Schwäche den Blick für einen kurzen Moment abwenden. Die Opernszene ist einfach gigantisch gut. Sogar das Opernspiel selbst kann begeistern. Das Agieren ist ästhetisch, die Musik sehr schön. Ich persönlich finde aber immer noch den Kampf der Mimik, der zwischen Lecter und Pazzi in diesem Moment stattfindet am besten. Es ist schon höchst beeindruckend, wie Hannibal den Geruch Pazzis aufnimmt und sich aufgrund dessen - für Pazzis Augen unvermittelt - umdreht. Wahrlich, Hannibals intensiver Geruchssinn hat schon etwas Animalisches an sich, jedoch nichts Destruktives oder Abstoßendes. Beim ersten Augenkontakt innerhalb der Oper, wird klar, daß Pazzi kein ebenbürtiger Gegner für den starken Lecter ist. Als Pazzi schwächelnd den Blick nicht halten kann, weiß der Zuschauer, daß der Florenzer dieses Spiel nicht gewinnen wird. Höflich folgt dem Schwächeblick des Polizisten noch ein Lächeln Lecters, welches der Polizist auch kurz aber angespannt erwidert. Doch wir, die Zuschauer, wissen: Das Lächeln Lecters hier steht neben einer Geste der Höflichkeit für den vollen Durchblick, den er nun gewonnen hat. Es steht für seine Übermacht. Hannibal ist glücklich, Pazzis Geheimnis durchschaut zu haben und kokettiert damit. Interessant ist die anschließende Szene: Die Oper ist aus, es folgt der anschließende Kontakt- und Essenspart. Zielgerichtet geht Lecter auf Commentatore Pazzi und seine Frau zu und fragt sie, wie ihnen die Vorstellung gefallen hat. Seine Absicht ist, Allegra ein Sonett Dantes zukommen zu lassen, das die kulturbegeisterte Frau natürlich sofort dankbar in sich aufnimmt. Das Gedicht handelt von Liebe und Obsession. Wichtig hierbei ist, daß Lecter - laut seinen Worten am Ende dieser Szene - anscheinend besessen von Clarice ist. Anders kann ich mir den Sinn dieses Sonettes und seine abschließenden Worte nicht erklären. Hannibal spricht von "Labung", die er beim bloßen Anblick einer bestimmten Frau erfährt. Welche andere Frau als Clarice sollte diese Gefühle in ihm auslösen? Auf jeden Fall hat diese Szene sehr viel Charisma und Charme, der natürlich vor allem durch den sehr einfühlsam und passend agierenden Hopkins aufkommt. Nur sein letzter Kommentar in Bezug auf die Bemerkung eines vorbeilaufenden Ehepaars ("Laß' uns etwas essen gehen!") macht dem Zuschauer wieder einmal ein wenig schmerzhaft, wenn aber auch sehr sanft, bewußt, daß Lecter nicht immer nur der liebenswerte Gentleman ist, den er vor Allegra gerade noch gegeben hat, sondern auch ein gefährlicher Psychopath. Der letzte Akt des Inspektor Pazzi rückt näher. Zwar kann Clarice Starling ihn in Florenz in der Cuestura noch erreichen und ihn darauf hinweisen, daß Lecter extrem gefährlich ist und ihn möglicherweise töten wird. Doch läßt sich Rinaldo nicht davon abschrecken. Er wird von Habgier angetrieben, würde im Moment wohl fast alles tun, um an die drei Millionen Dollar Kopfgeld heranzukommen. Zusammen mit Vergers Leuten hat er einen Plan ausgeheckt, wie sie Hannibal fangen wollen, doch es kommt anders: Nach einem Vortrag über "Habgier, Hängen und Selbstzerstörung" eröffnet der Doktor dem Commentatore auf seine eigene Art und Weise, daß er ihn als Marionette Vergers durchschaut hat. Nach Drohungen Lecters Pazzis Frau umzubringen, gesteht Rinaldo Hannibal dann per systematischem Augenzwinkern, was Lecter wissen will. Allegra Pazzi bleibt ob der Geständigkeit ihres Mannes verschont vor Lecter, ihr Mann hingegen muß sich bevor er an einem Strick um den Hals aus dem Palazzo geworfen wird, von Lecter den Bauch aufschneiden lassen. Auch einer der Gefolgsleute Vergers wird zum Ende der Szene getötet. Meines Erachtens war diese Szene seit des Aufkeimens der Habgier in Pazzi vorauszusehen. Es konnte nicht sein, daß Lecter diesen habgierigen Pazzi einfach ungeschoren davon kommen läßt. Die Art, wie er Pazzi umbringt ist zwar nicht gerade delikat, in der geschnittenen Version aber durchaus anzuschauen. Besonders interessant zu sehen ist der Vortrag Lecters, den er eigentlich deshalb hält, um sich die Stelle des Kurators langfristig zu sichern. Doch wirkt das Referat eher so wie die Vorbereitung Pazzis auf seine bevorstehende Erhängung. Interessant ist es auch, wie Lecter Pazzi in seine Gewalt bringt: Lecter appliziert eine Flüssigkeit auf einem Tuch. Der Zuschauer denkt zunächst, er wolle seine Brille putzen (Anmerkung: Wieso hat Hannibal eine Brille in der Hand? Auf der Nase hatte er diese den ganzen Film über nicht.). Doch hat er ganz andere Pläne mit dem eingeweichten Tuch: Die Flüssigkeit ist Chloroform. Das Tuch wird Pazzi als er sich seinen toten Vorfahren auf der Leinwand ansieht, von Lecter ins Gesicht gedrückt. Aufregend ist das, was danach kommt. Lecter bindet den geknebelten Pazzi auf einem Lastenheber fest und bringt ihn vor den Balkon des Palazzo. Dort verhört er ihn. Als er damit fertig ist, vibriert das Handy des Polizisten und Lecter antwortet ihm anstelle Pazzi. Nun wird es meiner Meinung nach ganz spannend und prickelnd. Am anderen Ende der Leitung ist Clarice, die Pazzi nochmals eindringlich vor dem Kannibalen warnen will. Doch diese Warnung kommt zu spät. Lecter macht dies der verdutzten Starling auch sogleich klar. Es ist einfach schön, die beiden Hauptdarsteller an dieser Stelle auf diese Art und Weise miteinander sprechen zu sehen. Nach dieser Szene ist endlich das passiert, worauf der Zuschauer schon seit Anbeginn des Filmes gewartet hat, ja, worauf er eigentlich schon gewartet hat, seitdem ihm bekannt ist, daß dieser Film gedreht würde. Lecter kehrt nach Washington zurück und wird früher oder später mit Clarice Starling zusammentreffen. Doch bis dahin werden noch ein paar andere Vorkommnisse passieren: Mason Verger läßt über den korrupten Paul Krendler, einem höheren Justizbeamten, eine Intrige spinnen, durch welche Starling sofort suspendiert wird. Diese Aktion paßt meiner Meinung nach gut in die Handlung. Irgend etwas mußte man ja tun, um Lecters volle Aufmerksamkeit auf Clarice zu ziehen, die nun ganz alleine gelassen und sogar ein wenig verachtet dasteht. Und irgendwann muß es dann passieren: Als Clarice nach Hause kommt, ihre Hausarbeiten erledigt und dann vom FBI enttäuscht in ihrem Sessel einschläft, schleicht Lecter plötzlich durch das Wohnzimmer, streicht Clarice eine Strähne aus dem Gesicht, zündet zwei Kerzen an und legt einen Zeitungsausschnitt auf einen Modelkörper, der ein Kleid von Versace trägt. Danach klingelt plötzlich Clarices Handy - natürlich ist der Doktor der Gegenpart am anderen Ende der Leitung. Er gibt ihr die Instruktion, in ihr Auto zu steigen und seinen Befehlen nach, einen bestimmten Ort anzusteuern. Klasse! Hier steuert der Spannungsbogen langsam aber stetig sein Maximum an. Man überlegt krampfhaft, was Lecter mit Clarice anstellen wird, als er vor ihr steht. In jenem Moment hat er alle Möglichkeiten offen: Er kann sie töten, sie verspeisen oder sich in welcher Art auch immer an ihr vergehen. Die Tatsache, daß er in keiner Weise Hand an sie legt, weckt wieder einmal einen Hauch von Sympathie der Zuschauer für Lecter. Interessant ist die Sache mit dem Versace-Kleid. Schon hier deutet Hannibal auf äußerst interessante Weise an, daß Clarice im Laufe des Abends ein solches noch am Körper tragen wird. Gleich nach dieser knisternden Lecter-in-Starlings-Haus-Szene folgt das Lotsspektakel zum Washingtoner Flughafen. Clarice fährt unter den Anweisungen Lecters, die sie per Handy erhält, zum Ziel und zwischendurch ergibt sich eine kurze Konversation über Clarices mißratene Situation beim FBI sowie Dr. Lecters nun abgeschlossene Zeit der "Lethargie", in der er Wohlgefühl und Gesundheit tanken konnte. Ein Rätsel in dieser Szene ist die folgende Sache: Clarice fährt von ihrem Haus ab, ein schwarzer Lieferwagen verfolgt sie fortan. Zunächst - bei einer Kameraeinstellung aus der Fahrerzelle - hat man den Eindruck, daß Lecter in diesem Wagen sitzt und Clarice hinterherfährt. Später jedoch kann man deutlich erkennen, daß zwei Männer, nämlich die Schergen Vergers, das Auto von Clarice verfolgen und auch am Airport hinter ihr herfahren. Ich frage mich allerdings, wieso man zunächst Lecter im Auto sitzen sah. Ansonsten ist die Szene besonders zu ihrem Ende hin sehr gut gelungen. Hannibal, der sich schon in seinem Auto am Flughafen aufhält, findet gegenüber Clarice wieder einmal die passenden Worte und macht ihr das schlechte Verhältnis Starlings zum FBI schmerzhaft bewußt. Gleich danach treten beide in kurzen Abständen voneinander in das Washingtoner Flughafen-Gebäude ein. Das Gespräch fährt fort. Clarice versucht Lecter zu orten, ist so manches Mal auch nahe am Gelingen. Doch die Männer Vergers sind ihr dicht auf den Fersen und lauern darauf, daß Starling sie direkt zu dem Doktor führt. Diese Szene ist eine der am schönsten gefilmten und spannendsten im gesamten Film - so meine ich zumindest. Es ist einfach schön, Lecter lässig durch die große bunte Halle schlendern zu sehen, mit Clarice dicht auf seinen Spuren, aber dennoch nie wirklich nahe genug an ihm dran. Besonders kribbelnd ist die Karussell-Szene in der Lecter kurz Clarices Haar streift, nachdem er ihr angeboten hatte, ihre Peiniger beim FBI für deren schlechte Behandlung Starlings zu bestrafen. Ich als eine ein wenig Lecter-begeisterte Zuschauerin finde jedoch den Ausgang der Szene ein wenig bedrückend. Wie kann es einem so intelligenten Mann wie Lecter passieren, daß er per Elektroschock-Pfeilen von hinten in den Rücken getroffen wird, um dann gekidnappt zu werden. Eine pikante Situation ist diese, bei der ich mir zum einen gewisse Sorgen um den Kannibalen mache, zum anderen aber auch frage, wieso sich Lecter überhaupt in diese Gefahr begeben hat. Es sei hier angemerkt: Er wußte doch - teilte dies Clarice auch mit -, daß ihm zwei Schergen Vergers auf den Fersen sind. Dennoch: Dies ist eine klasse Szene, die sehr prickelnd und unterhaltsam ist und zudem den Grundstein für die spätere zwangsläufige Direktkonfrontation von Clarice Starling und Dr. Hannibal Lecter legt. Denn: Starling will es sich natürlich auf keinen Fall nehmen lassen, Lecter dingfest zu machen und ihn dann als Triumph dem FBI vorzuhalten. Sollte sie in diesem Zuge Verger auch noch als Kidnapper oder gar Schlimmeres demaskieren, wäre das ihr erneuter beruflicher Durchbruch. Und so kommt es dann auch: Trotz ausdrücklicher Warnung und Anweisung ihres Vorgesetzten, sie solle keineswegs weiteres in der Sache 'Verger-könnte-Lecter-gekidnappt- haben' unternehmen, stürzt sich Clarice vollends hinein. Nachdem Mason Verger Hannibal in seinem Villa-Salon zunächst unterbreitet hat, welche Pläne für den Abend anstehen und der Doktor dies auf seine übliche Eigenart kommentiert hat, ermittelt Starling den Ort an dem Lecter festgehalten wird. Noch bevor ein Wildschwein auch nur an einem Zeh von Lecter knabbern kann, befreit ihn die schöne FBI-Agentin aus den Fängen der Verger-Clique. Jedoch wird Clarice bei dieser Aktion selbst von einer Kugel getroffen. Lecter nimmt die Frau mit sich, nachdem er Vergers persönlichen Leibarzt dazu angestiftet hat, seinen Schützling in den Schweinskäfig zu stoßen. Ich betrachte diese Szene als sehr spannend. Besonders die Konfrontation Clarice - Lecter ist das lang erwartete Bonbon, auf das wirklich jeder aufmerksame Zuschauer gewartet hatte. Schön ist auch Lecters lässige Antwort, als Mason Verger ihm erzählen will, wie er nach und nach von aggressiven Wildschweinen verzehrt werden wird. Hannibal sagt darauf gar nichts, lächelt lediglich sehr amüsiert und erhaben. Auf Vergers Frage, ob Lecter ihn unter diesen Umständen lieber ganz tot sehen würde, antwortet der Doktor ein trocken-amüsiertes "Nein, Mason, so wie du bist, gefällst du mir am besten." Etwas Schlimmeres als gerade eben diese Antwort hätte der Doktor gar nicht äußern können, da er Verger damit extrem tief ins Herz sticht. Mir gefällt besonders der Moment, in welchem Clarice Hannibal die Fesseln abschneiden will und dem Doktor dabei mitteilt, daß er das Richtige tun soll, um zu überleben. Hannibals trockene Antwort, "Sie sprechen wie eine wahre Protestantin.", treibt mir auch noch nach dem zehnten Ansehen Lachtränen in meine Augen. Unter anderem hier zeigt sich, daß in Hannibal keineswegs mit Humor gespart wurde, auch wenn man ihn in diesem düsteren, teils ekelerregendem Kontext schon als schwarzen Humor ansehen muß. Als Clarice von einer Kugel in die Schulter getroffen wird und stark benommen zu Boden geht, stehen wir wieder vor der Situation des Ausgeliefertseins der Agentin. Wieder hat Lecter freie Hand, kann mit Clarice machen, was er will. Er steckt ihre Waffe ein, greift sich Starling und macht sich davon, nicht aber ohne dem Leibarzt Vergers noch den Tipp zu geben, Mason einfach den Schweinen zum Fraß vorzuwerfen. Schließlich könne Cordell, so der Name des Verger'schen Arztes, es auf ihn, Hannibal, schieben. Nach durchgezogener Aktion seitens Cordells und genießerischen Blicken Lecters, verläßt Hannibal samt Clarice auf den Armen die Arena und macht sich mit ihr auf den Weg zu neuen Untaten. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Zuschauer noch nicht genau, was der Kannibale mit der Agentin anstellen wird, ruft sich nun aber ins Gedächtnis, daß Hannibal kurze Zeit zuvor allerlei Hauswaren sowie auch Seziergeräte aus einem Krankenhaus besorgt hatte. An dieser Stelle kommt enorme Vorspannung auf. Man rätselt, was nun wohl geschehen wird. Das erste, was Lecter unternimmt, ist Clarice zu dem Haus am See von Paul Krendler, dem korrupten Justizbeamten, zu bringen, in welches er zuvor auch all seine Einkäufe transportiert hatte. Dort entfernt er der benommenen Starling das Projektil - natürlich in durch und durch steril-professioneller Art und Weise. Mich hat diese Szene keineswegs überrascht. Warum sollte Lecter Starling zu diesem Zeitpunkt einfach sterben lassen? Das würde nicht in die bisherige Handlung hineinpassen, in welcher Hannibal emsigst darum bemüht war, in Kontakt und Konversation mit Clarice zu treten. Wir sehen an dieser Stelle also: Lecter hat noch etwas mit ihr vor. Und auch mit Paul Krendler scheint Lecter noch etwas vorzuhaben. Der Justizbeamte kommt zwecks Entspannung über den Feiertagen zu seinem Seehaus gefahren und wundert sich nicht wenig, als in seiner Küche eine Wunderkerze brennt. Wenig später streckt ihn Lecter mit Chloroform nieder und bemerkt wieder einmal höchst humorvoll: "Gut, sie haben den Wein mitgebracht." Letzterer Satz vermittelt dem Publikum ganz eindeutig, daß soetwas wie ein größeres Abendessen auf dem Plan steht. Da man in Bezug auf Lecter beim Thema "Essen" nichts Gutes assoziiert, kann man sich zu diesem Zeitpunkt auf etwas Besonderes gefaßt machen. Nachdem Agent Starling aus ihrer Betäubung aufgewacht ist, sich aber immer noch ziemlich schwach und wackelig fühlt, macht sie sich auf den Weg zum Telefon, um die Polizei zu verständigen. Zwar ist das Kabel abgerissen worden, doch für eine FBI-Agentin ist das schnelle Flicken auch noch im Dämmerzustand möglich, und so schafft es Clarice, die Polizei zu verständigen. In zehn Minuten wollen die verständigten Behörden zur Stelle sein. Zehn Minuten, die Clarice laut Anweisung des Beamten am anderen Ende der Telefonleitung eigentlich am Telefon fristen soll. Doch kann die Frau der Versuchung nicht widerstehen, die Treppe hinunterzugehen und zu sehen, was genau Lecter im Schilde führt. Anscheinend bereitet dieser wirklich ein größeres Abendessen für sie, Paul Krendler und sich selbst vor. Natürlich hat der clevere Hannibal zuvor mitbekommen, daß Clarice die Polizei alarmiert hat. Er ist sich bewußt, daß ihm für seine "Präsentation" nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich möchte hier kurz einschneiden und ein paar Worte zu dem Beschriebenen sagen, bevor es im folgenden Verlauf des Filmes zum absoluten Höhepunkt kommt. Zunächst einmal ist es höchst überraschend, daß Clarice plötzlich im extrem tief dekolletierten Abendkleid von Versace aufwacht. Die Ankündigung durch das Foto ist also wahr geworden. Man muß schon sagen: Doktor Lecter hat einen interessanten Geschmack. Doch stellt man sich nun vor, daß Lecter Starling, um ihr dieses Kleid anzuziehen, fast komplett entkleidet haben muß, wird dem Zuschauer schon ein wenig mulmig zumute. Hoffentlich hat er zwischendurch nichts angeknabbert oder sonst etwas getan. Es ist natürlich klar, daß Starling als FBI-Agentin, die Polizei verständigen muß, da sie derzeit physisch nicht selbst in der Lage ist, Lecter zu überwältigen und ihn festzuhalten. An sich ist diese Aktion auch ganz passend, da man ab nun leichten Druck im Fortlauf der Handlung verspürt und sich die Fülle des Inhaltes ab jetzt verdichtet. Man merkt, daß nun etwas Besonderes geschehen wird, man ahnt im Grunde auch schon ganz grob was das sein kann. Das nächste, was geschieht, ist, daß Clarice - immer noch ziemlich schwach auf den Beinen - die Treppe herabsteigt und in der Küche eine elektrische Knochensäge sieht, die sie vorher auch leicht hören konnte. An der Säge klebt Blut, sie erwartet schon das Schlimmste. Aber das einzige, was sie dann im Wohnzimmer sehen kann, sind Paul Krendler, der schon hungrig am Tisch Platz genommen hat und Hannibal Lecter, der emsig in einer Suppe herumrührt. Besorgt schaut er auf Clarice und fragt sie, warum sie denn nicht mehr im Bett ist. Sie müsse sich schließlich ausruhen. Immer noch benommen erwidert die Verwirrte, daß sie Hunger habe und nimmt kurz darauf auf einem Stuhl am Tisch Platz. Krendler versucht sie durch abwertende Worte zu verletzen und zu demütigen, doch Clarice fällt schon auf, daß irgend etwas mit ihm nicht stimmt. Die Unhöflichkeit Krendlers gegenüber Clarice ruft Hannibal auf den Plan. Er setzt dem Justizbeamten eine mit irgendeiner Substanz angereicherten Brühe vor, die Paul auch brav durch einen Schlauch trinkt. Schon die Tatsache, daß Paul den Schlauch anscheinend benötigt, läßt darauf schließen, daß er betäubt sein muß. Zudem kann man sich jetzt auch vage vorstellen, womit die Brühe angereichert ist. Mit einem Betäubungsmittel. Als jenes seine volle Wirkung entfaltet hat, geht Dr. Lecter zur Tat über. Er streift Krendler sein Baseballcap vom Kopf und Clarice eröffnet sich ein Anblick des Grauens. Auf Pauls Kopf befindet sich nur noch eine lose Schädeldecke, die Lecter zuvor in der Küche mit der Knochensäge abgeschnitten hat. Nun hebt er sie mit Hilfe eines Seziermessers ab und demonstriert der zutiefst geschockten Starling das offene Hirn von Paul Krendler. Anschließend geht er dazu über, einen Teil des Hirns zu sezieren und ihn in die Gourmet-Pfanne zu legen. Danach nimmt sich Lecter der total aufgeschreckten Clarice an und legt ihr zugrunde, daß sie das FBI hauptsächlich als Spiegel für die Existenz ihrer Unbestechlichkeit und Linientreue benötige. Zum Schluß verabschiedet sich Hannibal von Starling in die Küche, da er dort zusammen mit Paul aufräumen und den Kaffee machen will. Meines Erachtens ist dies die extremste Szene des gesamten Filmes. Kaum ein Film zeigt die Abhebung der Schädeldeckung und den freien Blick auf das menschliche Gehirn. Das alles wirkt äußerst beunruhigend, zumal die Tricks, die die Maske benutzt hat, wirklich verdammt echt wirken. Allerdings ist die FSK16-Version hier um einiges entschärft. Dem Zuschauer entgeht ein gewaltiger Teil der großartigen Arbeit der Maske und der Einsatz von Computereffekten. Zu diesem Zeitpunkt, als sich Lecter an Krendlers Gehirn zu schaffen macht, wird dem Zuschauer wieder bewußt, wie gefährlich und irrsinnig Lecter ist. Er setzt an dem Punkt mit dem Messer an, der für das Opfer am Demütigendsten ist: am Gehirn. Dennoch kann man für Lecter nicht wirklich Haß oder Abscheu entwickeln, da er im Grunde einem bösen Buben die Kopfdecke abhebt - Krendler hatte Starling während des Filmes verdammt hart zugesetzt und diese Behandlung - in den Augen Lecters zumindest - mehr als verdient. Natürlich ist dem Publikum durchaus bewußt, daß kein Mensch solch eine demütigende Gewalttat verdient hat. Hier geschieht nicht "nur" eine Hirnkastration, sondern es ist klar, daß Paul Krendler langsam und qualvoll verbluten wird. Wahrlich ist dies kein schöner Anblick, aber wohl nötig, damit der Zuschauer auch endlich wieder sieht, wie gefährlich und gewissenlos Lecter ist. Und wieder ist die Szene gefüllt von schwarzem Humor: Lecter sieht Clarices erschreckten Gesichtsausdruck während der Schädelabnahme und beruhigt sie, daß das Gehirn an sich keinen Schmerz empfinden würde und er sich an dem von Paul sowieso unbenutzten Teil, dem Sitz der guten Manieren, zu schaffen machen werde. Während Hannibal Lecter in der Küche das Geschirr abspült und Paul ausblutet, überlegt Clarice, wie sie es schaffen könnte, Lecter zu überwältigen und festzuhalten. Entschlossen greift sie sich den nächstgelegenen Kerzenständer und schleicht durch die Tür zur Küche. Doch Lecter bemerkt die Frau schon vor dem Schlag, wehrt diesen ab und schmeißt Clarice an den massiven amerikanischen Kühlschrank. Die FBI-Agentin versucht sich aus Hannibals starkem Griff zu befreien, wird jedoch von der Übermacht des Doktors sofort wieder zurück an den Kühlschrank geworfen. Nun kommt es zum interessantesten Dialog des gesamten Filmes - endlich ist die Situation da: Lecter hat Clarice in seiner Gewalt und die Zuschauer warten aufgeregt, was wohl als nächstes passieren mag. Wird er sie beißen? Wird er sie töten? Wird er sie vergewaltigen? Wird er womöglich alle drei potentiellen Vorhaben - egal in welcher Reihenfolge auch immer - verwirklichen? Trotz aller Gefahr, die durch Lecter ausgeht, ist eine erotische Spannung in der Luft, die quasi durch die in diese Situation passende Frage Lecters noch unterstrichen wird: "Clarice, würden Sie jemals sagen: Hören sie auf! Wenn Sie mich lieben, hören Sie auf! ?". Starlings konsequente Antwort kommt sofort und kann nur heißen: "Nicht in tausend Jahren!" Kein Mensch könnte sich an dieser Stelle eine bettelnde, um Gnade flehende, Clarice Starling vorstellen. Lecter hat wohl mit dieser Antwort gerechnet und setzt einen Biß an - stoppt jedoch kurz vor ihrem Gesicht. Ganz unbeeindruckt schaut Starling den Kannibalen an, was diesem wohl extrem gut gefällt, denn er erwidert: "Das ist mein Mädchen!" und drückt ihr einen langen, gefühlvollen Kuß auf den Mund. Diesen schwachen Moment Lecters nutzt die clevere Clarice jedoch dazu, Hannibal eine Handschelle an seinen linken Arm zu legen. Erst das Klicken bringt Hannibal von seinem Kuß ab und er ist sichtlich überrascht, wechselt jedoch schnell wieder zu seiner alten Konsequenz über, denn er ist extrem unter Zeitdruck. Clarice, deren eigene rechte Hand als Anker für die Handschelle dient, denkt natürlich keineswegs daran, Dr. Lecter den Schlüssel für das Fesselgerät zu übergeben. Doch dieser Umstand kann einen Mann wie Lecter nicht aus der Fassung bringen. Er greift sich das nächstgelegene Hackebeil, an welchem noch ein paar Büschel Kresse kleben und fragt Starling in gewohnt direkter Manier: "Über oder unter dem Handgelenk, Clarice?" und warnt dann auch noch: "Das wird wirklich wehtun.". Dann holt er zu einem kraftvollen Schlag aus und die Szene endet mit einer Großaufnahme der schreienden Clarice. Die Hand ist also ab. Diese Küchenszene ist wirklich das Allerbeste, was der Film zu bieten hat. Wenn sich der kräftige Lecter und die karg bekleidete Starling gegenüberstehen, er sie klar in seiner Gewalt hat, dann kann man das erotische Knistern, das in der Luft liegt, gar nicht übersehen. Es ist jedoch äußerst schwierig zu verstehen, wie Lecter nun wirklich zu Starling steht. Ist er nur von ihrer Intelligenz und ihrem Durchhaltevermögen begeistert? Will er nur ein wenig mit ihr spielen, bevor er wieder das Land verläßt? Oder empfindet er wirklich mehr für Starling? Kann letzteres wirklich möglich sein? Kann ein bislang scheinbar gewissens- und gefühlloser Serienmörder wirklich mehr für eine Person empfinden als lediglich Lust, die durch die Aussicht auf Angst oder sexuelle Befriedigung ausgelöst wird? Nun ja, Lecter bekommt von Starling weder Angst noch sexuelle Hingebung geboten. Statt dessen bietet sie ihm erbitterten Widerstand. Ist es das, was ihn so an ihr fasziniert? Mit Sicherheit! Dennoch kommt der Zuschauer nicht ganz darum herum, in Lecter auch extreme emotionale Gefühle für Starling zu entdecken. Keiner wird bei einem Geschöpf wie Lecter so weit gehen und ihm innige Liebe für die Frau bescheinigen, doch kann man seine Gefühle sehr wohl als extreme Zuneigung beschreiben. Warum sonst sollte er sie küssen? Um ihr Angst zu machen? Nein, Angst konnte er ihr schon nicht mit dem angedeuteten Biß machen, wie sollte ihr also ein Kuß Angst bereiten? Nein, er küßt sie, weil er sich nach diesem Kuß sehnt, weil er ihr nah sein will. Vielleicht sogar, weil er ihr damit zeigen will, daß er etwas für sie empfindet. In dieser Hinsicht ist Starlings Antwort, nämlich die Handschellen-Attacke, mehr als undankbar, aber absolut zu erwarten. Schließlich will sie auf jeden Fall wieder als FBI-Agentin arbeiten. Dafür ist ihr jedes Mittel recht. Letzten Endes muß ihr dafür sogar die Möglichkeit des Verlustes ihrer Hand recht sein. Bei Lecter muß sie davon ausgehen, daß er für seine Flucht zu solchen Mitteln greift. Sie schaut zwar erschrocken aus, als Lecter mit dem Hackebeil in der Hand ausholt, ist aber dennoch immer noch entschlossen, die Sache durchzuziehen, da sie sich selbst in diesem Augenblick als gerecht und gesetzestreu empfindet - sie will, daß ihre Eltern stolz auf die rechtschaffene Clarice sein können. Natürlich muß man nun auch einmal kausal denken. In dem Augenblick, wenn Lecter ihr die Hand abschlagen würde, hätte sie von all ihrem Tun nichts mehr. Das einzige, was ihr Aktionismus bringen würde, wäre der Verlust der Hand, Lecter aber wäre über alle Berge. Sie könnte ihm also auch genauso gut den Schlüssel aushändigen. Das tut sie aber nicht. Wahrscheinlich handelt sie wieder aus der gleichen Motivation wie vorher: Sie ist rechtschaffen und wird auch nicht in dieser verfahrenen, aussichtslosen Situation mit dem Serienmörder paktieren, sie wird auch nun nicht ihren starken Widerstand aufgeben. Das kommt ihr letzten Endes mehr als zugute - auch wenn sie dies vorher nicht wissen kann. Fraglich ist in diesem Moment allerdings, was Clarice für Hannibal empfindet. Es gibt kaum einen Anhaltspunkt für irgendeine Emotion. Wäre da nicht die Träne, die Starling bei Lecters Kuß und ihrer Handschellen-Aktion die Wange hinabläuft. Was bedeutet dieses zaghafte Weinen? Weint sie etwa aus Angst? Hat sie Angst davor, daß Lecter ihr wegen der Handschelle den Lebensatem ausblasen wird? Oder, und dieser Aspekt ist weitaus faszinierender, weint sie, weil sie Hannibal Lecter soeben - so scheint es zumindest - die Flucht vermasselt hat? Es ist schwer, sich hier festzulegen und ich bin mir sicher, daß es noch andere Lösungsansätze gibt. Ich bin aber überzeugt davon, daß Clarice in welcher Form auch immer positive Gefühle für Lecter innehat, auch wenn sie dies als FBI-Agentin gar nicht darf. Trotz ihrer Gefühle, legt sie ihn in Ketten. Sie bleibt standhaft. Sicherlich ist Lecter auch deshalb so angetan von der jungen Frau, weil er durchaus ihren zähen Widerstand und ihren Glauben an den Erfolg der Gerechtigkeit schätzt. Kurzum: Er opfert seine eigene Hand, anstatt die der FBI-Agentin abzuschlagen. Es ist jedoch fraglich, ob Clarice die Hand Lecters letzten Endes wieder zur Rehabilitierung beim FBI verhelfen wird. Über dies hinaus geht aus dieser Szene keinesfalls hervor, ob Lecter die abgeschlagene Hand vielleicht nicht sogar mit sich genommen hat. Man kann dies als Zuschauer nicht überblicken, deshalb werden für eine eventuelle Fortsetzung des Filmes viele Spannungsmomente auf dem Punkt "Lecter und seine linke Hand" liegen. Während Clarice zum guten Schluß also etwas überrascht ausschauend aus dem Haus läuft, um nach dem Geflohenen Ausschau zu halten, befindet der sich schon kurze Zeit später in einem Flugzeug, das ihm zur Flucht aus Washington verhilft. Hier sehen wir nun, daß Lecter seinen linken Hand verbunden in einer Schlaufe trägt, zudem erscheint es so, als habe er Schmerzen. Nichtsdestotrotz genießt er sein mitgebrachtes Essen und seinen Wein, was für einen kleinen Jungen auf dem Nachbarplatz nicht zu übersehen ist. Der Junge mokiert sich über die schlechte Flugzeugkost und Lecter läßt ihn einen Happen von seiner ganz speziellen Gourmetspeise probieren: Krendler'sches Gehirn. Diese Schlußszene ist in zwei verschiedene Teile geteilt. Zum einen schaut Starling nach dem Austritt aus Krendlers Haus etwas melancholisch in die Ferne. Sie sieht auf den See, sucht nach Hannibal, findet ihn aber nicht. Scheinbar wie ein Triumph zündet in der Ferne ein großes Feuerwerk, was ihr ihre Niederlage bewußt macht, da es wie ein Freudenfest Hannibals erscheint. Man weiß in diesem Moment nicht genau, was sie denkt. Ist sie nur betrübt, da es ihr nicht gelungen ist, Lecter dingfest zu machen? Oder geht in ihrem Kopf gerade die Überlegung um, wie sehr Lecter ihr doch zugetan sein muß, daß er für sie seine eigene Hand opfert? Fürwahr, der Verlust von Lecters Hand ist wirklich mehr als überraschend und vielleicht auch ein wenig überzogen. Wie soll er denn in Zukunft ohne seine linke Hand ein gefürchteter Serienkiller und Kannibale sein, wenn er seine Opfer noch nicht einmal auseinanderschneiden kann? All dies ist nur schwer vorstellbar. Aber man weiß ja: Beim Film ist alles möglich. Es kann gut sein, daß Lecter trotz dieser Aktion im Sequel mit einer Hand auftaucht, quasi à la: 'Ich habe sie mir 'mal eben wieder drangenäht'. Soetwas habe ich in Filmen alles schon gesehen. Was bleibt noch zu sagen? Nun: Die Szene im Flieger zwischen Hannibal und dem kleinen asiatisch aussehenden Jungen hätte man sich sparen können. Zum einen ist es unglaubwürdig, daß Lecter derartig schnell und anscheinend auch sehr einfach in ein Flugzeug gelangen kann und von niemanden aufgehalten wird. Optisch hat er sich nicht großartig verändert, außer daß er seinen vorherigen schicken Anzug durch einen gewöhnlichen Jogginganzug ausgetauscht hat. Zum anderen ist es recht makaber und abstoßend, daß er dem Jungen ein Stück Menschenhirn einverleibt. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Szene wirklich nötig war. Sicherlich ist ein Mann wie Lecter zu so einer Tat fähig, doch kann ich den Sinn des Gezeigten dennoch nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht soll es ja bedeuten: 'Ob mit oder ohne linker Hand, ich bin immer noch absolut gefährlich und suche schon einmal nach einem Nachfolger, der auch Gefallen an menschlichen Innereien findet...'.

Alles in allem

Insgesamt gesehen, birgt der Film wirklich einen sehr hohen Unterhaltungswert in sich. Lediglich die ersten zwanzig Minuten plänkeln dahin und dienen wohl als Einführung in die Situation. Sobald Lecter das erste Mal auf dem Bildschirm erscheint, ist der Zuschauer alarmiert und das Herz eines jeden schlägt in jenem Moment schon ein paar Takte schneller. Danach fließt die Story zunächst eine Weile auf mittlerem Niveau dahin, hat ihren ersten kleinen Höhepunkt in der Verfolgung Lecters durch den Taschendieb und dessen Totschlag. Dann in der Oper wird dem Zuschauer durch Lecters weise und Pazzis ängstliche Blicke klar, daß die Stunde des Polizisten geschlagen hat. Dessen Mord ist dann der nächste Höhepunkt. Die absoluten Hochpunkte des Filmes folgen später. Je näher sich der Doktor Clarice Starling annähert, desto spannender und knisternder wird die Atmosphäre. Der absolute Showdown in der Küche ist gleichzeitig auch der absolute Klimax des gesamtes Filmes. Zwischendurch gibt es zwar ein paar unglaubwürdige Lächerlichkeiten zu sehen, wie Vergers Killerschweine, aber dennoch brilliert der Film vor allem durch graphische und musikalische Ästhetik, tolle Schauspielkunst und eine sehr spannende Story.

Darstellerische Leistungen

Einen Schauspieler muß ich im Voraus schon einmal im ganz großen Stil loben: ANTHONY HOPKINS! Er bietet - wie man es ja praktisch von ihm gewohnt ist - eine brilliante Darstellung des Kannibalen-Doktors. Manchmal möchte man gar denken, daß er Hannibal ist und ihn nicht nur spielt, derartig realistisch greift seine Darstellung. Alles stimmt: Mimik, Gestikulation, Agieren. Es ist nur schrecklich schade, daß die deutsche FSK16-Version nachlässig synchronisiert wurde. Nicht nur, daß die Synchronstimme des Hannibal-Charakters meines Erachtens viel zu dunkel und rauh ist - dieser Tonfall paßt einfach besser zu einem Jack Nicholson und nicht zu Anthony Hopkins - nein, zudem meine ich, daß der Sprecher phasenweise einfach falsch betont und somit manches, was in der Originalfassung einfach vorzüglich und mit Herzblut von Hopkins gesprochen wurde, lustlos in monotonem Rhythmus überspricht. Doch fahren wir fort mit der Betrachtung der Darsteller: Julianne Moore liefert eine sehr schöne und dem Charakter der Clarice Starling angemessene Darstellung ab. Auch wenn diese Clarice noch selbstbewußter, kühler und resistenter als die aus Das Schweigen der Lämmer ist, so gilt sie durchaus als glaubwürdig. Es ist einfach schön zu sehen, wie gut es Starling mit Hannibal aufnehmen kann, auch wenn sie körperlich keine große Chance gegen ihn hat. Ihre Durchsetzungskraft und ihr Widerstand machen das wett, was durch körperliche Defizite aufkommt. Auch bei Moore hat man das Gefühl, als sei sie Starling. So ist es auch bei Giancarlo Giannini. Auch bei ihm habe ich durchgehend das Gefühl, daß er bis zum Scheitel in die Rolle des Commentatore Rinaldo Pazzi geglitten ist. Es ist einfach schön zu sehen, wie realistisch Giannini Gefühle wie Unbehagen, Ungeduld, Erschrecken oder Angst ausdrückt. Natürlich verkörpert der Darsteller auch alle positiven Emotionen perfekt, doch sind die anderen wohl deshalb nennenswerter, da sie in Gegenwart von Dr. Fell alias Hannibal extrem oft auftreten. Eine Figur im Film hat mir persönlich nicht ganz so gut gefallen: Der Millionär Mason Verger. Allerdings ist für diesen Umstand wohl kaum dessen Darsteller Gary Oldman verantwortlich, der in dieser Rolle wirklich alles gibt. Der Verger-Part wurde einfach schlecht ausgearbeitet und erscheint viel zu oft einfach nur albern und nicht erschreckend. Schon die Tatsache, daß Verger im Rollstuhl sitzt, ist für mich ein Rätsel. Bei dem Zwischenfall mit Hannibal in der Vergangenheit löste er sich doch "nur" die Haut vom Gesicht ab... Wieso kann er dann auf einmal nicht mehr laufen bzw. sich quasi kaum noch bewegen? Es ist mir ein Rätsel. Wieso wälzt er überhaupt die gesamte Schuld an diesem Umstand auf Hannibal ab? Fein, dieser bot Verger irgendein Rauschmittel an. Doch stand es dem Millionär damals frei, dieses anzunehmen. Er nahm es erfreut an, befand sich dann im Rausch und befolgte Lecters Anweisungen. Ein körperlicher Zwang seitens Lecters war hier nicht existent. Also trägt Mason Verger meines Erachtens an dem damaligen Vorfall zumindest eine Mitschuld. Aber auch sonst kann mich diese Figur nicht überzeugen. Alleine die Szene, in der Verger um Lecter in seinem Rollstuhl herumkreist und ihm die Eigenschaften der Wildschweine aufzählt, ist einfach nur lächerlich. Vor allem die nur mühsam gesprochenen und teilweise schwer verständlichen Worte machen es dem Zuschauer schwer, an die Seriosität dieser Person zu glauben. Zudem geht von ihm selbst aufgrund seiner Immobilität keine Gefahr aus, höchstens von seinen italienischen Schergen. Vielleicht ist dieser Effekt der Belustigung und der Albernheit auch gewollt, da Lecter ihn in dieser Szene auch äußerst belustigt und fast mitleidig anschaut. Ganz anders wirkt da Paul Krendler, von Ray Liotta verkörpert. Dieser Charakter kann durchaus zwischenzeitlich als extrem gefährlich betrachtet werden. Liotta spielt vor allem die Arroganz und leichte Stupidität des Justizbeamten sehr gut. Leider verstehe ich bei der Figur des Krendler nicht, warum er phasenweise als recht kompetent erscheint, in anderen Momenten aber als äußerst dümmlich dargestellt wird (zum Beispiel als Verger ihn bestechen will und er dies zunächst gar nicht begreift). Der Rest der Schauspieler spielt seine Sache durchweg gut.

Gefahrenpunkt

So unterhaltsam und ästhetisch der Film insgesamt auch gelungen sein mag, so betrachte ich ihn doch als ziemlich gefährlich. Nein, nicht die Horrorszenen wie beispielsweise der offene Blick auf Krendlers Gehirn, sind das, was mir Kopfzerbrechen bereitet. Viel eher meine ich, daß Dr. Hannibal Lecter in diesem Film viel zu sympathisch geraten ist. Schon in Das Schweigen der Lämmer wußte Lecter durch ein hübsches, bübisches Lächeln und nette Augen sowie durch seinen genialen Scharfsinn und vielleicht auch sein direktes Mundwerk zu gefallen. Nur bei der Fluchtszene aus dem Käfig wußte der Zuschauer wieder, mit wem er es zu tun hatte. Hier ist das alles ein wenig anders geraten. Ich selbst hatte zum Beispiel große Probleme in diesem von Florenz geprägten Lecter überhaupt die Gestalt aus dem Verlies wiederzuerkennen. Zunächst einmal hat Lecter sich äußerlich verändert, trägt schicke Kleidung und hat einen eleganten Gang. Hinzu kommt noch, daß an dem Darsteller Hopkins die knapp zehn Jahre, die zwischen Das Schweigen der Lämmer und Hannibal liegen, nicht spurlos vorüber gegangen sind. Er ist ein wenig gealtert, hat aber vor allem mehr Gewicht auf den Rippen. Die andere Sache ist die komplett andere Betrachtungsweise, die Hannibal in diesem Film erfährt. Man sieht ihn zwischen Menschen hin- und herspazieren, ohne daß er auch nur einen einzigen beißt. Er hat eine Anstellung in einer Bibliothek, geht in die Oper, genießt Wein in einem Café, genießt überhaupt alle kulturellen Genüsse. Sogar am Klavier sehen wir den eigentlich extrem gefährlichen Kannibalen, danach schreibt er in vorzüglicher Schönschrift einen Brief an Clarice. Natürlich, wir wußten schon in Das Schweigen der Lämmer, daß Lecter ein wahrer Schöngeist ist, daß er unter anderem Florenz liebt (damals zeichnete er Bilder von Florenz nur durch schriftliche Quellen). Doch hatten wir ihn damals noch nicht im kulturellen Element gesehen, er stand immer nur statisch im Verlies herum, bis zu seinem Ausbruch wohlgemerkt. Nun erblicken wir aber seine gesamte schöngeistige Herrlichkeit, sehen, wie er im Soge der Kultur aufblüht. Sicherlich bringt er zwischenzeitig ein paar Leute um: Pazzi, der ihn aus Habgier verraten hat, Carlos' Bruder, der Lecter an den Kragen wollte, und zuletzt wohl auch Krendler, der Clarice ans Messer hatte laufen lassen... Auch das, was Hannibal in der Vergangenheit mit Verger anstellte, war sicherlich nicht schön, doch dennoch - wie gesagt - irgendwie nachvollziehbar: Mit zerschnittenem Gesicht konnte sich Verger nicht mehr an Kindern vergehen. Doch gerade diese feine Auslese der Opfer, die Morde an offensichtlich bösen, negativen Charakteren, wirft ein objektiv betrachtet zu schönes Licht auf Lecter. Er erscheint phasenweise fast als gerechter Rächer, viel Böses oder gar Irrsinniges ist an ihm nicht zu finden. Nun gut, die Sache mit dem offensichtlichen Irrsinn sollte ich vielleicht ein klein wenig einschränken: Kurz vor dem Mord an Pazzi, als Hannibal davon spricht, daß er die Frau des Commentatore filettieren möchte, erscheint er schon ein wenig wahnwitzig... wobei ich bezweifle, daß er diesen Schritt wirklich vorhat. Vielmehr denke ich, daß er diese Drohung nur als Druckmittel nutzt, um die Wahrheit von dem habgierigen Kommissar zu erfahren. Dennoch: daß er ihm vor seinem Fenstersturz noch eben den Bauch aufschlitzen muß, und vor allem die Art und Weise wie er dies durchzieht, lassen schon ein gewisses Quentchen Irrsinn hinter seinem Tun aufblitzen. Eine weitere etwas irrsinnig anmutende Szene von Hannibal ist die - wie sollte es anders sein - Abendessen-Szene mit Krendler und Starling. Eines vorab: Welcher normale Geist würde schon auf den Gedanken kommen, einen Menschen auf derartig bestialische Weise umzubringen, indem er ihm die Schädeldecke abhebt, den Gehirnsack aufschneidet und dann den Part der guten Manieren hinausschneidet... Das ist Irrsinn, egal wie rächerisch-edel die Motive von Hannibal sein mögen. Die Demütigung, die Lecter Krendler dann noch auferlegt, indem er ihm sein eigenes Hirn einverleibt und der es auch noch mit Genuß verzehrt, ist dann einfach nur bestialisch, spiegelt aber auch die unbestreitbare Übermacht von Doktor Lecter wieder. Hannibal ist dem etwas dumpfen und später gehirnamputierten Krendler in allen Belangen überlegen: körperlich, geistig, kulturell... Läßt man sich all diese Abscheulichkeiten noch einmal durch den Kopf gehen und macht sich klar, was Lecter wirklich ist, wer er ist, ein genialer Kannibale nämlich, der menschlich-emotional nicht viel mit normalen Leuten zu tun hat, könnte man nahe daran kommen, ihn zu verabscheuen, doch wie gesagt: wäre er nicht zwischendurch so verdammt charmant-direkt... (siehe beispielsweise die Piano-Szene). Der Punkt, an welchem einem Lecter wieder äußerst menschlich und von Emotionen gesteuert erscheint, ist die Endszene, nein, natürlich nicht das Spiel mit dem kleinen Jungen im Flieger, sondern die Szene, als er Clarice an den Kühlschrank drückt und dem Zuschauer dabei so schrecklich normal vorkommt. Was tut er denn zu jenem Zeitpunkt genau? Zunächst einmal wehrt er den Schlag der aus dem Wohnzimmer in die Küche tappsenden Clarice ab und pfeffert sie im Gegenzug, sozusagen zur Ruhigstellung, an den Kühlschrank. Ja, dieser Kraftakt mag dem Zuschauer zunächst arg brutal und gewalttätig vorkommen, hat aber auch, aufgrund der Berührung der beiden Kontrahenten, etwas Prickelndes. Dann versucht Clarice sich noch einmal gegen die Übermacht des Doktor Lecter aufzubäumen, schafft dies aber natürlich nicht, sondern wird per Retourkutsche nochmals unsanft an den Kühlschrank geknallt. Und nun, meine Güte, passieren Sachen, die ich selbst nur sehr schwer verstehen und ansehen kann: Hannibal fragt die nach allen Kräften Widerstand leistende Clarice, ob sie jemals sagen würde: "Hören Sie auf! Wenn Sie mich lieben, hören Sie auf!". Was will er mit dieser Frage bezwecken? Will er sehen, daß sie aufgibt? Und wenn sie es tun würde, ginge er dann vielleicht anders mit ihr um? Würde er sie dann vielleicht töten, weil er das Interesse an ihr verloren hätte? Wie ein Raubtier, daß seine Beute tötet, nachdem er lange genug mit ihr gespielt hat? Oder aber: Will er ihr durch die Frage andeuten, daß er sie liebt? Ist es das, was er damit aussagen will? Und unterstreicht er diese potentielle Intention dann damit, daß er als nächstes die Andeutung eines Bisses begeht, darauf aber dann einen Kuß, und wie es aussieht, einen gefühlvollen, zum Besten gibt? Es ist interessant zu überlegen, was Dr. Lecter mit diesem ganzen Getue bezweckt und ob er das, was er tut, wirklich ernst meint. Anscheinend meint er es wirklich ernst. Wohl liebt - oder zumindest mag - er Clarice wirklich, sonst hätte er sich danach nicht seine eigene Hand abgeschlagen, anstatt die ihre. Darf dieser bittere Kontrast aber wirklich existieren? Kann es sein, daß ein kannibalistisches Monster zum einen auf wahnwitzigste Art und Weise Menschen ermordet, zum anderen aber für einen Menschen tiefe Gefühle empfindet und einen Teil von sich selbst für diese Person opfert? Der ganze Film spielt inmitten einer extrem romantischen Atmosphäre: Oper, Musik, die Ästhetik Florenz und so manche Belichtungen zielen ganz deutlich auf eine emotionale Basis ab. Es ist schwer, in all dieser Schönheit noch die abgrundtiefe Bosheit von Hannibal Lecter zu finden. Oder ist er vielleicht doch nicht abgrundtief böse? Ist es das, was die Macher des Filmes durch ihre Darstellung erreichen wollen? Es ist schwierig, einem Menschen jedwede Menschlichkeit abzusprechen, wenn man ihn zumeist nur in Augenblicken des negativen Tuns sieht - wie es bezüglich Lecter zumeist in Das Schweigen der Lämmer stattfand. Hier sieht man ihn, wenn auch nur in kurzen Momenten, auch in sehr gefühlvollen Szenen. Das verändert unseren Blick auf die "Bestie". Was soll man nun genau von ihm denken? Natürlich muß man immer im Hinterkopf behalten, daß er ein Serienmörder ist und diese Taten sind unverzeihlich, aber ist dort, wo wir in Das Schweigen der Lämmer noch absolute schwarze Leere vermuteten, nicht doch noch mehr? Wie auch immer, ich sehe schon gespannt einer Fortsetzung von Hannibal entgegen. Auf daß wir hierfür nicht wieder fast zehn Jahre warten müssen!

© 2001 by Nadine S.

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