Heartland

WALES 1989
Regie: Kevin Billington / Produzent: Christine Benson / Drehbuch: Steve Gough
Mit: Anthony Hopkins (Jack Philips), Lynn Farleigh (Rachel Philips), Mark Lewis Jones (Iwan), Martin Glyn Murray (Glyn), Jane Horrocks (Pam), Hugh Fraser (Saunders), Paul Humpoletz (Groß), Gemma Heritage (Cathy) u.a.

Der Bauer Jack Philips (Anthony Hopkins) bewirtschaftet mit seiner Frau Rachel (Lynn Farleigh) und den beiden Söhnen Glyn (Martin Glyn Murray) und Iwan (Mark Lewis Jones) eine kleine Farm in Wales. Die Familie kann sich nur schlecht über Wasser halten; Iwan verdient sich mit einigen dubiosen Geschäften in der Stadt etwas Taschengeld hinzu, und Glyn, der die Landwirtschaftsschule besucht hat, bedrängt seinen Vater, den Betrieb zu modernisieren und einen Kredit für den Umbau des mittelalterlich anmutenden Kuhstalls aufzunehmen. Doch Jack will von diesen mit dem neuen Computer berechneten Modernisierungsvorschlägen seines Sohnes nichts wissen und beharrt stur auf seiner Meinung, daß jeglicher Fortschritt den Ruin bedeutet.
So hängt der Familiensegen bald mächtig schief, und als dann auch Rachel ihrem Mann zum Vorwurf macht, daß er den Söhnen zuwenig Spielraum läßt und kein Vertrauen in die Familie besitzt, hat Jack ein Einsehen. Obwohl er im Grunde gegen seine Überzeugung handelt, gibt er den neuen Ideen seiner Söhne eine Chance und nimmt einen hohen Kredit bei der Bank auf, um zu expandieren und in den "Fortschritt" zu investieren.
Als der voll automatische neue Kuhstall schließlich steht, scheinen sich Jacks Befürchtungen nicht zu bewahrheiten. Auch in das Zusammenleben der Familie ist wieder Frieden und Harmonie eingekehrt. Hinzu kommt, daß Iwan die junge Pam (Jane Horrocks) kennengelernt hat und diese bald zu seiner Frau nimmt. Daß Pam aus einer früheren Beziehung bereits eine kleine Tochter hat, bereitet insbesondere Jack, der sich sofort mit dem neuen Enkelkind Cathy anfreundet, große Freude.
Doch in das scheinbar wiederhergestellte Familienglück platzt plötzlich eine Hiobsbotschaft aus Brüssel: Nach dem langjährigen Streit in der EG um komplizierte Agrarsubventionen, sind die EG-Mitgliedsstaaten zu einer Einigung um die Quotenregelung gekommen. Für Bauern wie Jack Philips jedoch, die in die Milchproduktion investiert haben, sind die neuen Beschlüsse mehr als folgenschwer; Sie bedeuten den wirtschaftlichen und finanziellen Ruin.
Da Jack die aufgenommenen Kredite nun nicht mehr zahlen kann, stehen den Philips bald die ersten Pfändungsbescheide ins Haus. Doch während sich Iwan, Glyn und auch Rachel nicht so leicht geschlagen geben und engagiert an den Demonstrationen gegen die neuen EG-Beschlüsse teilnehmen, kapselt sich Jack immer mehr ab und verliert zusehends den Boden unter den Füßen. Als die Familie zu einer Großdemonstration nach London fährt, bleibt Jack allein im Haus zurück und weiß sich schließlich nur noch mit recht drastischen Mitteln zu helfen: In einem Akt der Verzweiflung kidnappt er zwei EG-Beauftragte...

Die Rolle des eigenbrötlerischen Farmers Jack Philips in der Fernsehproduktion Heartland ist - nach Dafydd Ap Llewellyn in A Chorus of Disapproval - erst Anthony Hopkins' zweite "walisische" Filmrolle; Dies allein ist wohl bereits Grund genug, seine Darstellung in diesem Film endlich auch in den Hopkins Files unter die Lupe zu nehmen.
Aber auch unter anderen Gesichtspunkten ist Heartland zweifelsohne überaus sehenswert und interessant, und es ist eigentlich völlig unverständlich, daß dieser Produktion in Hopkins' Filmographie bisher kaum Beachtung geschenkt wurde und ihr leider ein ähnliches Schicksal widerfuhr, wie dem ebenfalls schändlich in Vergessenheit geratenen hopkinsianischen Meisterwerk The Dawning. Vielleicht liegt das daran, daß auch Heartland zu den eher leiseren und unauffälligeren, den wenig spektakulären Filmen mit Sir Anthony zählt. Heartland ist ein Film, in dem es um die Probleme einfacher, gewöhnlicher Menschen geht, um ein Stück "echtes" Leben also; Wer dramatische Actionszenen erwartet, ist hier gewiß an der falschen Adresse, denn selbst die Entführung der beiden EG-Beamten geht nahezu lautlos und ohne großes Aufsehen vonstatten. Heartland bezieht seine Spannung vielmehr aus den Dialogen sowie den teilweise grandiosen Leistungen der Schauspieler. Nur teilweise grandios, denn neben der wundervollen Besetzung der Hauptrollen (Anthony Hopkins, Lynn Farleigh, Mark Lewis Jones sowie Martin Glyn Murray), bieten Hugh Fraser und Paul Humpoletz (in den Rollen der EG-Beauftragten Saunders und Groß) eine leider nur recht mittelprächtige, völlig überzogene und unglaubwürdige Vorstellung. Zu ihrer Entschuldigung könnte man lediglich anführen, daß der Fernsehzuschauer die beiden EG-Verantwortlichen womöglich durch die Augen von Jack Philips sieht und daß sie deshalb derart lächerlich und klischeehaft, wie bloße Karikaturen eben, erscheinen müssen.
Ansonsten jedoch hat Regisseur Kevin Billington ein durchweg glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Schauspieler gehabt und zudem Mut bewiesen, auch unbekannte Gesichter in den Hauptrollen zu verpflichten. Dennoch ist es nicht zu leugnen, daß Heartland einzig und allein mit dem einen bekannten Gesicht, dem von Anthony Hopkins, steht und fällt. Ihm und seiner großartigen und einfühlsamen Darstellungskunst ist es einmal mehr zu verdanken, daß dieser für die BBC Wales gedrehte Film letztlich wunderbar funktioniert und eine im Grunde nur durchschnittliche Fernsehproduktion weit über den Durchschnitt hinauszuwachsen imstande ist.
Hopkins brilliert von der ersten bis zur letzten Minute, und die Rolle des eigensinnigen Farmers Jack Philips scheint ihm geradezu auf den Leib geschrieben. In der Tat fällt es schwer zu glauben, daß Hopkins in Wahrheit noch nie zuvor in seinem Leben eine Kuh gemolken hatte und für ihn "der Kuhstall schlimmer war als die Inquisition"! So dürfte Heartland auch für den Menschen Anthony Hopkins ein weiterer persönlicher Triumph im Umgang mit den eigenen Phobien gewesen sein, ganz nach dem Motto: "To escape from horror bury yourself in it."!
Jack Philips ist, laut Hopkins, ein "wilder, ungebändigter Charakter", ein Statement, das zu der Annahme führen könnte, er spielte diese Rolle nun dementsprechend laut und brachial. Aber das Gegenteil ist der Fall; Bezeichnend für Heartland ist vielmehr Hopkins' leises, geradezu sanftes Spiel, das insbesondere in der Szene, in der Jack seinem neuen Enkelkind eine Gutenachtgeschichte erzählt, auch von großer poetischer Kraft ist. Für mich stellt gerade diese wundervolle Szene ein Höhepunkt des Films dar, denn die simple Gutenachtgeschichte um zwei Pfade, der eine geradlinig, breit, gut begehbar und ohne jedes Geheimnis, der andere schmal, gewunden, einsam und durch einen geheimnisvollen, undurchdringlichen Wald führend, entpuppt sich freilich als Metapher für Jacks eigenes Leben, für sein existentielles Eingebundensein in die Natur. Jack hat für sich und sein Leben den einsamen und schwer begehbaren, den geheimnisvollen und rätselhaften Pfad gewählt und eingeschlagen. Doch dann erscheinen eines Tages die Holzfäller, zerstören den Wald und somit auch den geheimen Pfad. Während der andere Weg, der geradlinige und uninteressante, nach wie vor existiert, bleibt von Jacks Pfad nichts übrig außer den Erinnerungen und dem Gefühl, hin und wieder an einer Stelle zu stehen, an der sich der gewundene Pfad einst befunden haben mochte. Aber für Jack ist damit noch nicht alles verloren: "...I still have the memory though. And now that secret path sneaks and twists through my mind. Every day I walk it. If I missed it once, I lose everything."
Die kleine Cathy, Pams Tochter, ist während Jacks Erzählung natürlich unbekümmert eingeschlafen, doch Rachel hat, im Türrahmen stehend, unbemerkt zuhören können. Eine Geste, ihr Lächeln, deutet an, daß sie verstanden hat und durch die Geschichte der zwei Pfade erneut einen Zugang zu den Gedanken ihres Mannes finden konnte.
Doch als sich Jacks finanzielle Situation verschlechtert und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis er sein Land, das die Familie seit Generationen bewirtschaftet, verkaufen muß, verliert Jack zusehends die Orientierung. Der geheime Pfad scheint nun auch in seiner Erinnerung allmählich zu verblassen. Jack gerät darüber in Panik und die Entführung der EG-Beauftragten, die er für seine aussichtslose Lage verantwortlich glaubt, wird zu einer fixen Idee. Er kann den Entführungsplan in die Tat umsetzen, doch der erhoffte Erfolg bleibt aus; Denn während Jack verzweifelt versucht, sich seinen "Opfern" verständlich zu machen, ihnen zu erklären, was der Verlust seines Besitzes für ihn bedeutet, stößt er bei Saunders und Groß auf völlige Begriffsstutzigkeit. (Der deutsche EG-Mann Groß behauptet gar, Jack auf Grund des walisischen Akzents nicht verstehen zu können!) Die Beamten wollen sich freikaufen, bieten dem Bauern Geld an, doch Jack geht es nicht darum. Das Leben, das er gelebt hat, ist nicht mit Geld aufzuwiegen. Doch die Bürokraten Saunders und Groß sind auch hier schwer von Begriff, sie wollen und können nicht verstehen. So bleibt es letztlich auch ein Rätsel für sie, daß Jack sie nach der mehrtägigen Gefangenschaft in einem Viehstall wieder freiläßt, ohne irgendwelche Forderungen gestellt oder Lösegeld verlangt zu haben.
Unmittelbar nach der Freilassung der Entführten wird Jack schließlich von der Polizei verhaftet und hinter Gitter gesperrt. Der Film endet hier, doch das Schicksal von Jack Philips und seiner Familie bleibt beunruhigend offen. Am Schluß sehen wir Jack in einer Zelle sitzen und Selbstgespräche führen. Offensichtlich schwelgt er in Erinnerungen, treibt das Vieh einen Feldweg entlang. Doch der Feldweg ist breit und geradlinig und besitzt nichts von den Geheimnissen des anderen, des nun für immer verlorenen Pfads.
Heartland ist für mich einer der schönsten Filme mit Anthony Hopkins. In der Kritik ist zu lesen, Heartland und Anthonys Darstellung des Jack Philips sei "hervorragend, bewegend, tief empfunden". Dem will ich mich ohne Wenn und Aber anschließen.

© 1994 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.11)

 

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