Howards End
Wiedersehen in Howards End

GB 1992
Regie: James Ivory / Produktion: Ismail Merchant / Drehbuch: Ruth Prawer Jhabvala nach dem gleichnamigen Roman von E.M. Forster / Musik: Richard Robbins
Mit: Anthony Hopkins (Henry Wilcox), Vanessa Redgrave (Ruth Wilcox), Emma Thompson (Margaret Schlegel), Helena Bonham-Carter (Helen Schlegel), Sam West (Leonard Bast), James Wilby (Charles Wilcox) u.a.

Howards End spielt im England der zwanziger Jahre und ist die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner: Die starre und wert-konservative Industriellenfamilie Wilcox sowie die emanzipierten und warmherzigen Schlegel-Geschwister Margaret und Helen.
Nachdem Margaret (Emma Thompson) und Helen (Helena Bonham-Carter) auf einer Reise durch Deutschland die Bekanntschaft mit Ruth (Vanessa Redgrave) und Henry (Anthony Hopkins) Wilcox gemacht haben, verbringt Helen die Ferien im Kreise der Wilcox-Familie auf deren Landsitz Howards End. Mit Paul (Joseph Bennett), dem jüngeren der beiden Wilcox-Söhne, beginnt die junge Frau eine stürmische Affäre und schreibt ihrer Schwester Margaret von einer bevorstehenden Verlobung. Zu Hause in London setzt Margaret alle Hebel in Bewegung. Doch Paul will nichts von der Verlobung wissen und beendet kurzerhand seine Beziehung zu Helen. Die Wege der beiden Familien trennen sich daraufhin im Streit.
Mehrere Monate später. Unmittelbar gegenüber des Mietshauses der Schlegel-Geschwister beziehen die Wilcox ihren neuen Wohnsitz. Da man nun benachbart wohnt und ein gelegentliches Zusammentreffen unvermeidbar erscheint, beschließt Margaret, Frieden zu schließen und den Wilcox einen Besuch abzustatten. - Die Hausherrin Mrs.Wilcox befindet sich zur Zeit allein in London und schon bald verbindet die beiden ungleichen Frauen eine tiefe und innige Freundschaft. Mrs.Wilcox erzählt Margaret von ihrer Liebe zu Howards End, dem alten Haus auf dem Lande, in dem sie geboren und aufgewachsen ist. In der Hektik der Londoner Großstadt fühlt sie sich nicht wohl. Ruth Wilcox, deren Leben so eng mit der Geschichte von Howards End verbunden ist, repräsentiert das England einer anderen Generation, einer anderen, früheren Zeit. Der Fortschritt, die neuen Mietshäuser und Automobile machen ihr Angst und scheinen sie zu erdrücken. -
Einige Zeit später stirbt Mrs.Wilcox. Auf dem Sterbebett kritzelt sie ihren letzten Willen auf ein Stück Papier. Ihr Geburtshaus Howards End soll an Margaret gehen. Doch dieses Testament, vor Gericht ohnehin ungültig und wertlos, wird von der restlichen Wilcox Familie nach kurzer Diskussion unterschlagen und verbrannt - Margaret erfährt nichts davon.
In der Zwischenzeit freundet sich Helen mit dem aus armen Verhältnissen stammenden Leonard Bast (Sam West) an. Aus Mitleid mit dem jungen Mann, versucht sie, ihm zu helfen und bittet den erfolgreichen Geschäftsmann Henry Wilcox um Rat. Da es um die Aktienkurse der Firma, für die Bast arbeitet, schlecht aussieht, ist Wilcox der Meinung, der junge Mann solle sich schnellstens nach einem anderen Arbeitgeber umsehen. Leonard kündigt daraufhin, doch die Suche nach einem anderen Job erweist sich als aussichtslos. Schnell gerät der junge Bast ins soziale und finanzielle Abseits. Hinzu kommt, daß sich die Aktienkurse seiner ehemaligen Firma wieder erholen und somit kein Grund für seine Kündigung bestand. Helen sieht die Schuld für Leornards finanzielle Not bei Mr.Wilcox und macht ihrer Verärgerung Luft. Doch der gestrenge Witwer Wilcox hat andere Sorgen im Kopf. Er ist vielmehr damit beschäftigt, Margaret, in die er sich verliebt hat, den Hof zu machen. Seinen ungeschickt und hilflos vorgetragenen Heiratsantrag nimmt Margaret an. Gegen den Willen sowohl der Wilcox-Söhne, die in Margaret eine Erbschleicherin vermuten, als auch Helens, die Mr.Wilcox nicht verzeihen kann, ihr Protegé Leonard finanziell ruiniert zu haben, heiratet das ungleiche Paar. Komplikationen sind natürlich vorprogrammiert...
Aber alles weitere ist im Kino zu erfahren!

Als ich vor gut einem Jahr E.M. Forsters Roman Wiedersehen in Howards End las, war ich zwar von der Lektüre sehr angetan, konnte mir jedoch beim besten Willen nicht vorstellen, wie man aus dieser eher langatmigen Geschichte einen Film machen wollte. Um so gespannter war ich also auf das Resultat, zumal ich James Ivorys Forster-Verfilmungen Maurice und Zimmer mit Aussicht sehr schätze. Wie gesagt, ich konnte es kaum erwarten...
So war es nicht weiter verwunderlich, daß ich die Gelegenheit, mir Howards End auf dem Kölner Filmfestival anzuschauen, nutzte. Neben Soderberghs Kafka-Film zählte Howards End zu den Höhepunkten des Festivals und war Eröffnungsfilm. Dementsprechend frühzeitig hieß es also, Karten für die Premiere vorzubestellen, doch Bennet und ich hatten Glück.
Wer schon einmal auf einem Filmfestival war, selbst wenn es sich nur um ein kleines und wenig beachtetes wie das Kölner handelt, der weiß, daß es immer etwas Anderes und Besonderes ist, sich einen Film im Rahmen eines Festivals anzuschauen. Nicht nur, daß man die Originalfassung zu sehen bekommt und außerdem von der lästigen Kinowerbung verschont bleibt, auch die Atmosphäre hat es in sich. Das Publikum ist bereit, sich auf einen Film, eine Geschichte, einzulassen und mitzugehen, und da stört es auch nicht sonderlich, wenn man unter den Kinobesuchern hin und wieder einige bekannte Gesichter, wie das Alice Schwarzers zum Beispiel, erspäht. Ein weiterer Punkt, der Filmfestivals immer interessant macht, ist wohl die Anwesenheit so mancher Weltstars, die Werbung für ihre neusten Streifen machen. So stolzierten Patrick Swayze und Dolph Lundgren (ähm, Weltstars?) an kreischenden Teenagerscharen vorbei durch Köln, was der großartige Armin Mueller-Stahl, ebenfalls Gast in Köln, lediglich mit einem Augenzwinkern begleitete. - Insgeheim hoffte ich natürlich, daß sich auch aus dem Stab von Howards End das eine oder andere bekannte Gesicht in Köln sehen ließ. (Mit dem kleinen Waliser rechnete ich wohl nicht, obwohl... naja, ein, zwei Gedanken verschwendete ich natürlich dennoch mit dieser Möglichkeit!) Von Enttäuschung konnte allerdings nicht die Rede sein, als ich erfuhr, daß sich unter dem Howards End-Publikum "nur" eine der ganz großen Damen des britischen Kinos befand: Vanessa Redgrave. Sie und Howards End-Produzent Ismail Merchant gaben sich die Ehre und würden, vom euphorischen Applaus der Zuschauer begleitet, am Ende des Films auf die Bühne gebeten. So wuchs die Spannung...
Entgegen unseren sonstigen Kino-Gepflogenheiten stürmten Bennet und ich das ausverkaufte Haus, um uns unmittelbar in die erste Reihe zu setzen. Nichts sollte unserer Aufmerksamkeit entgehen! Nun, wir hatten nicht darüber nachgedacht, daß es sich bei Howards End um eine 70mm-Produktion handelte... Als der Vorhang geöffnet wurde und wir einen Blick auf die riesige Leinwand werfen konnten, machte sich zunächst Entsetzen breit. Wie bei jener Kirmes-Attraktion CINEMA 2000 wurden wir buchstäblich von der riesigen Kinoleinwand umrundet. Ja, um alles, was sich im Film abspielte, wahrnehmen zu können, würden wir wie beim Tennis immerzu die Köpfe von rechts nach links drehen müssen! Dennoch ergab sich aus diesem vermeintlichen Nachteil etwas entscheidend Positives: Man hatte nämlich das Gefühl, inmitten des Films und des Geschehens zu sitzen. Das post-viktorianische London, die englische Landschaft breiteten sich derart realistisch vor uns aus, daß ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam.
Um es vorwegzunehmen: Ich habe jede einzelne Sekunde dieses immerhin 140-minütigen Epos genossen und geliebt, wie selten einen Kinobesuch. Was uns James Ivory da in knapp zweieinhalb Stunden Bildabfolge vor Augen führt, das ist große, perfekt inszenierte Kinounterhaltung und (für mich persönlich) das Filmereignis des Jahres. Da stimmte aber auch alles, von der ersten bis zur letzten Minute.
Um so mehr verwunderten mich die vereinzelten Vorwürfe, Howards End sei "überproduziert", die in der britischen Presse zu lesen gewesen waren. Gewiß, Howards End ist hervorragend inszenierte Filmkunst, die Schauspieler sind die Reihe durch erstklassig und weder in der Darstellung, noch in Bild, Ton und Ausstattung sind irgendwelche Makel erkennbar. Nur wie kann man diesen Perfektionismus ernsthaft kritisieren und dem Film zum Vorwurf machen?
Was die Auswahl der Darsteller betrifft, wartet Howards End mit einigen amüsanten Doppelbödigkeiten auf. So kann man sich das Schmunzeln nicht verkneifen, wenn man zum Beispiel die "letzte überzeugte Sozialistin" und Frauenrechtlerin Vanessa Redgrave Dialoge sprechen hört wie: "Ich finde, man sollte das Handeln den Männern überlassen. Ich bin nur allzu dankbar dafür, daß ich kein Wahlrecht besitze." - Da bleibt einem zweifelos das Lachen im Halse stecken (aber ein Blick auf Alice Schwarzers Gesichtsausdruck blieb mir in dieser Szene leider verwehrt!)
Alle Sympathien galten aber sicherlich der von Emma Thompson so erfrischend unkompliziert dargestellten Margaret Schlegel, die als Vermittlerin der konservativen Weltanschauung der Familie Wilcox und einer neuen, emanzipierten und aufgeschlossenen Gesellschaft fungiert. Emma Thompson gilt gewiß nicht zuletzt seit Schatten der Vergangenheit (Dead Again) als die Neuentdeckung des britischen Kinos.
Auch Ivorys Stammbesetzung Helena Bonham-Carter, James Wilby und besonders Sam West (als Leonard Bast) schlagen sich hervorragend.
Naja, trotz des Versuchs, möglichst objektiv zu bleiben, galt mein Hauptinteresse natürlich Anthony Hopkins und seiner Darstellung des Henry Wilcox. In Forsters Romanvorlage gibt der Wilcox-Charakter eigentlich nicht sehr viel her und ist, aus heutiger Sicht gesehen, ziemlich schwer einzuschätzen. Hopkins' nuanciertes Spiel vermag es jedoch, diesem Mr.Wilcox klare Konturen und Tiefgang zu verleihen. Erscheint er im Roman eher unsympathisch, starr und keiner innerlichen Veränderung unterworfen, so führt uns Hopkins einen Mann vor, der durchaus um seine Lebenslügen weiß. Hopkins' Mr.Wilcox versteckt seine Gefühle hinter einer strengen und verbohrten Fassade, was die Gestik des Schauspielers auf eindrucksvolle Weise verdeutlicht; In emotionalen Krisensituationen bedeckt und verbirgt er sein Gesicht mit den Händen. Dem Wilcox-Charakter entsprechend, ist Hopkins' Spiel unauffällig und zurückhaltend, aber nicht zuletzt deshalb von dergleichen Doppelbödigkeit, die auch Vanessa Redgraves Auftritt besitzt. Äußerungen wie "The poor are poor. One is sorry for them, but there it is..." bringt Hopkins' Mr.Wilcox derart trocken und unreflektiert herüber, daß der Zynismus solcher Bermerkungen unverkennbar ist. Einige Kritikerstimmen befanden gar, daß Anthony Hopkins' "trockenes" und unprätentiöses Spiel allen anderen Darstellern des Films die Show stiehlt, eine Meinung, der ich mich natürlich ausnahmslos anschließe. So ist es auch verständlich, daß Regisseur James Ivory den Schauspieler sofort für sein nächstes Projekt The Remains of the Day verpflichtet hat. Man darf sich also auf einen weiteren Merchant/Ivory-Leckerbissen freuen.
Zum Abschluß sei gesagt: Wer bei Howards End einen wunden Punkt finden will, wird lange danach suchen müssen. Mir jedenfalls ist nichts Nennenswertes aufgefallen. Vielleicht ist die Story an sich nicht nach jedermanns Geschmack, aber derartige Vorbehalte sollten nicht Inhalt einer Filmkritik sein. In einem Jahr, in dem große Kinoereignisse Mangelware sind, zählt Howards End ohne Zweifel zu den Höhepunkten des europäischen Films (wobei ich für die deutsche Synchronisation keine Garantie übernehmen möchte!). Auf dem Kölner Filmfest wurde Ivorys Film übrigens mit einhelliger Begeisterung aufgenommen, natürlich aber mit keinem der drei Förderungspreise bedacht. Filme wie Howards End müssen ja verständlicherweise auch nicht finanziell gefördert werden.

© 1992 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.4)

 

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