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The
Lindbergh Kidnapping Case USA 1976
Regie: Buzz Kulik / Produzent: Leonard Horn / Drehbuch: J.P.Miller
Mit: Cliff De Young (Charles Lindbergh), Anthony Hopkins (Bruno Hauptmann), Sian Barbara
Allen (Ann Morrow Lindbergh), Joseph Cotten (Dr. Condon), Walter Pidgeon (Richter
Trenchard) u.a.
Charles Lindbergh (Cliff De Young) war ein amerikanischer
Fliegeroffizier, der im Jahre 1927 den Atlantik im 33-Stunden-Nonstop-Flug überquerte und
damit ein Nationalheld wurde. Am 1. März 1932 wurde sein Sohn aus dem elterlichen Haus in
New Jersey entführt, um Lösegeld zu erpressen. Trotz Kontaktaufnahme mit den Erpressern
und Übergabe des Lösegelds wurde das Kleinkind am 12. Mai 1932 tot aufgefunden. Das
sinnlose Verbrechen rief weltweit Empörung hervor, besonders natürlich in den USA.
Aufgrund des Auftauchens von Lösegeld, dessen Nummern notiert und dessen Besitzer
zurückverfolgt werden, wird der Verdächtige Bruno Richard Hauptmann (Anthony Hopkins)
verhaftet. Man findet in seiner Garage Teile des Lösegelds vergraben. Hauptmann wird
angeklagt, das Lindbergh-Baby entführt und ermordet zu haben. Obwohl der Prozeß seine
Schuld nicht endgültig beweisen kann, wird Hauptmann zum Tode verurteilt. Eine Revision
wird abgelehnt, 1935 wird das Urteil vollzogen.
Der Film ist düster nicht nur aufgrund seines Themas:
Kindesentführung, Mord und Hinrichtung, er wirft auch ein pessimistisches Bild auf
negative menschliche Eigenschaften ganz allgemein: Geltungssucht, Größenwahn, Geldgier,
Sensationsgeilheit, Rachedurst, Unehrlichkeit.
Die Emotionen der Bevölkerung werden von den Massenmedien - damals Presse und Rundfunk -
hochgepeitscht und die Sensationsgier gefüttert. Zunächst wurde Lindbergh von den Medien
gefeiert und hat sicher auch seinen Ruhm genossen. Im Vorspann sieht man Originalaufnahmen
mit Triumphzügen zu Ehren des Fliegers, bei denen ungeheure Menschenmassen ihm zujubeln.
Die Popularität und Bewunderung müssen enorm gewesen sein. Lindbergh wurde zum edlen
Helden hochstilisiert, zum "guten Amerikaner" mit dem "sauberen" Image
schlechthin. Er hatte wohl nicht daran gedacht, welchem Moloch er sich in Form der Medien
durch seine Popularität aussetzen und damit auch seine Familie gefährden würde. Nach
dem Bekanntwerden der Entführung gehen zahlreiche falsche Lösegeldforderungen ein,
zahlreiche scheinbare Entführer melden sich aus Geldgier oder Geltungssucht, auch ein
scheinbarer Vermittler tritt mit einer völlig erfundenen Geschichte auf.
Es gibt einen ganzen Haufen Irre, sagt der Film. Und auch die, die wirklich helfen, werden
widersprüchlich dargestellt. Der Vermittler Dr. Condon (Joseph Cotten) tritt eigentlich
für das Idealbild Lindbergh, für das saubere Amerika, nicht in erster Linie für den
Menschen, ein und hetzt zum Schluß gegen eine Begnadigung Hauptmanns, obwohl er während
des Prozesses noch vorsichtig gewesen war, um einen vielleicht Unschuldigen nicht ans
Messer zu liefern.
Polizei und Militär behindern sich bei den Ermittlungen gegenseitig, jeder will sich
hervortun, um berühmt zu werden und als derjenige dazustehen, der Licht in den Fall
gebracht hat. Jeder kleine Sachverständige nimmt sich ungeheuer wichtig, etwa der
Graphologe oder der Zimmermann, der die bei der Entführung benutzte Leiter untersucht.
Der Kriminalpsychologe spricht sich gegen eine Todesstrafe für Hauptmann aus, nicht, weil
es ihm um den Menschen geht, sondern weil er in Hauptmann ein interessantes Studienobjekt
sieht.
Nach der Verhaftung Hauptmanns gehen Drohungen ein, den mittlerweile geborenen zweiten
Sohn der Lindberghs zu entführen. Lindbergh ist längst Opfer der Presse, er wird unter
Druck gesetzt, speist die sensationsgierige Meute mit offiziellen Statements ab, öffnet
dadurch aber wieder Tür und Tor für Verrückte. Nach der Verurteilung geht Lindbergh mit
seiner Familie nach England, um ein wenig Ruhe zu haben und seinen Sohn unbelastet
aufwachsen zu lassen. Auslöser war ein regelrechter Überfall von Reportern auf das Kind
und sein Kindermädchen. Die Öffentlichkeit hat ihren Helden vertrieben.
Der Entführungsfall, von der Presse zu einem "Verbrechen gegen Amerika"
hochstilisiert, wird zum Politikum. Staatsanwalt und Richter sind Freunde von Lindbergh.
Um erneut gewählt zu werden, gibt der Gouverneur von New Jersey schließlich dem Druck
der Öffentlichkeit nach, lehnt eine Revision des Urteils gegen Hauptmann ab und läßt
das Todesurteil vollstrecken.
Die von Presse und Rundfunk aufgepeitschte Bevölkerung will Blut sehen. Sie will den
Gegenpol zu ihrem Helden, den absoluten "Bad Guy", und den bekommt sie in Bruno
Richard Hauptmann. Er ist der ideale Täter, denn so viel spricht gegen ihn.
Zunächst einmal die Fakten: Seine Stimme wird von Lindbergh als die desjenigen erkannt,
dem Dr. Condon das Lösegeld übergab, das Lösegeld wurde bei ihm gefunden, er wurde von
dem Tankwart erkannt, den er mit einer Banknote aus dem Lösegeld bezahlte. Er hat als
Zimmermannsgehilfe gearbeitet, was die Nagellöcher als Erkennungszeichen auf den
Erpresserbriefen erklärt. Ein Sachverständiger behauptet, ein Brett von Hauptmanns
Speicher und ein Brett der von den Entführern benutzten Leiter seien einmal ein Stück
gewesen. Fehler in den Erpresserbriefen weisen auf einen Deutschen als Schreiber hin.
Dann die weniger greifbaren Beschuldigungsgründe, die gegen Hauptmann sprechen: Er ist
Ausländer, ein illegaler deutscher Einwanderer, vorbestraft, ein Parasit, der sich ein
gutes Leben durch Verbrechen machen will, während die Depression herrscht und ehrliche
Leute Not leiden.
Nein, Hauptmann ist nicht sympathisch. Er ist nicht durchschaubar. Hinter dem
Durchschnittsgesicht wird nicht klar, was er gerade denkt. Der Prozeß scheint ihn
manchmal zu amüsieren, dann wieder zu langweilen oder zu ärgern. Trotz der erdrückenden
Beweise beteuert er hartnäckig seine Unschuld. Bei Befragungen wirkt er verklemmt und
nervös, lächelt scheinbar grundlos - aus Verlegenheit? - seine Antworten wirken wie
vorbereitet und eingeübt - oder ist es nur die Gehemmtheit eines Menschen, der nicht
gewöhnt ist, in der Öffentlichkeit zu stehen und vor einer größeren Gruppe reden zu
müssen?
Das Psychogramm, das der Kriminalpsychologe vom Entführer erstellt hat, trifft zumindest
teilweise auf Hauptmann zu: Ein Mann aus kleinen Verhältnissen, mit Allmachtsträumen,
neidisch auf Lindberghs Erfolg, sich selbst überschätzend. Teilweise wirkt Hauptmann so,
als gehe ihn der Prozeß nichts an, als könne ihm keiner was - oder ist das nur
Selbstschutz? Er fragt vor der ersten Verhandlung seinen Wärter, wie er aussehe.
"Wie Valentino," antwortet der Wärter. Nicht einmal die massiven Angriffe des
Staatsanwalts lassen Hauptmann aus der Fassung geraten. Er verbittet sie sich mit einer
gewissen Würde. Nur einmal läßt Hopkins' Hauptmann ein wahres Gefühl und seine Angst
zeigen: In der Szene, in der Hauptmann im Gefängnis von seiner Frau besucht wird, die den
Sohn im Babyalter mitgebracht hat. Das Kind weint, er beruhigt es.
Der Prozeß verläuft sehr unfair, schon dadurch, daß der Staatsanwalt ein Freund
Lindberghs ist. Es wird von vornherein ein Prinzip der amerikanischen Rechtsprechung
verletzt, nach dem ein Angeklagter so lange als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld
einwandfrei erwiesen ist. Der Staatsanwalt und der Verteidiger versuchen beide sich zu
profilieren, indem sie die Zeugen des jeweils anderen mit unfairen Mitteln unglaubwürdig
machen wollen. Der Verteidigung wird sehr oft über den Mund gefahren, Proteste nicht
beachtet. Der Prozeß dient nicht dazu, die Wahrheit herauszufinden, sondern möglichst
viele Indizien für Hauptmanns Schuld zu sammeln. Hauptmann ist dies klar. Schweigt er
deshalb? Aus Trotz oder Resignation, selbst als ihm eine Wiederaufnahme des Prozesses in
Aussicht gestellt wird? Weil ihm klar ist, daß die wirkliche Wahrheit keinen
interessiert?
Hauptmann nimmt die Antwort auf viele offene Fragen mit ins Grab: War er eine der
Hauptpersonen in der Entführung? Oder war er nur derjenige, der die gefährliche Arbeit
tun mußte, während die eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund blieben?
War Geldgier sein Motiv? Oder steckten auch die Beweggründe dahinter, die der
Polizeipsychologe angab?
Welche Rolle spielten die Dienstboten im Lindberghschen Haushalt? Warum beging das
Hausmädchen Violet Sharp Selbstmord? Hatte sie mit dem Fall zu tun, oder waren die ganzen
Verhöre und die Hetze zu viel für sie?
Welche Rolle spielte der von Hauptmann ins Spiel gebrachte, angeblich bereits verstorbene
Geschäftspartner?
War der Tod des Kindes ein Unfall? Dafür spricht die fehlende Sprosse an der Leiter. Der
Entführer kann mit dem Kind gestürzt sein. Welchen Sinn hätte es gehabt, ein knapp
zweijähriges Kind umzubringen, das nichts hätte erzählen können?
Oder hat Hauptmann das Kind getötet, weil er ein Wahnsinniger war, der Lindbergh treffen
wollte und aus Erfahrung wußte, wie stolz ein Vater auf seinen Sohn ist? Er scheint zu
wissen, daß das Kind tot ist, denn er fragt bei der Lösegeldübergabe Dr. Condon, ob er
dran ist, wenn das Kind tot sei. Dr. Condon antwortet ihm, dann bräuchte ja nicht mehr
verhandelt zu werden, worauf Hauptmann sofort angibt, das Kind sei nicht tot.
Wurde Hauptmann wirklich von der Polizei gezwungen, bei Schreibproben dieselben Fehler zu
machen, wie sie in den Erpresserbriefen gefunden wurden? Auch, daß er mit dem in den
Erpresserbriefen nicht vorkommenden Wort "signature" aufs Glatteis geführt
wurde, liefert in meinen Augen nicht den entsprechenden Beweis gegen seine Behauptung. Ein
Mensch wie Hauptmann wäre vielleicht stolz darauf, Worte in einer Fremdsprache, die er
vermutlich nur phonetisch gelernt hat, richtig zu schreiben und somit in die vom
Staatsanwalt gestellte Falle gehen...
Man könnte noch viel über diese Fragen nachdenken - vielleicht wäre das ein Thema für
einen Diskussionsabend...? (Räusper)
Durch die vielen Details und Nebenfiguren ist der Film sehr komplex und schwierig. Er hat
sich die Aufgabe gestellt, möglichst genau die Ereignisse zu protokollieren. Dadurch ist
er auch überlang. Schwierig ist der Film auch dadurch, daß die Hauptfiguren keine
Identifikationsmöglichkeiten bieten: Lindbergh bleibt etwas blaß, Hauptmann ist als
Persönlichkeit zu verschlossen und widersprüchlich und Dr. Condon ist eigentlich ein
netter alter Herr, nervt aber durch seine patriotische Einstellung. Er glaubt an Amerika
als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man durch ehrliche Arbeit seine Familie
ernähren kann, aber seine Schüler teilen diesen Traum im depressionsgeschüttelten
Amerika der frühen Dreißiger schon nicht mehr.
Anzumerken sei noch der teilweise abrupte und schlechte Schnitt, der wohl auch durch die
ursprünglich dazwischen geschalteten Werbeblöcke zustande kommt.
Die kritische Einstellung zu Wichtigtuerei und Sensationsgier gefällt mir sehr gut an dem
Film. Sie hat auch ihre komischen Momente: Zwei Radioreporter berichten angeblich aus dem
Ballsaal eines Hotels in der Nähe des Gerichtsgebäudes, ihr "Senderaum" ist
aber die Herrentoilette, untermalt vom Rauschen der Spülung. Wenn der Rundfunk schon in
so kleinen Dingen lügt... - und die Kritik am Ausschlachten sensationsträchtiger
Ereignisse ist ja auch durchaus aktuell. Man denke nur an Reality-TV oder an den Fall O.
J. Simpson - live im Gerichtssaal dabei - davon hätten die Reporter zu Lindberghs Zeit
geträumt.
Und das Bedürfnis ist da - frei machen von Sensationsgier kann sich eigentlich niemand.
Ich statte in englischen Buchhandlungen fast immer der Abteilung "True Crime"
einen Besuch ab. Warum? Das weiß ich auch nicht so genau. Es ist etwas, das ich nicht
unbedingt kontrollieren kann. Die Sensationsgier eben.
© 1995 by Gabi G.
(Hopkins Files Nr.14) |
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