The Trial
Der Prozeß

GB 1992
Regie: David Jones / Produktion: Louis Marks / Drehbuch: Harold Pinter nach dem gleichnamigen Roman von Franz Kafka.
Mit: Kyle MacLachlan (Josef K.), Anthony Hopkins (Gefängniskaplan), Jason Robards (Dr.Huld), Juliet Stevenson (Fräulein Burstner), Polly Walker (Leni) u.a.

Der Prokurist Josef K. (Kyle MacLachlan) wird am Morgen seines 30. Geburtstages grundlos verhaftet und verliert sich im Labyrinth einer undurchschaubaren, bürokratischen Justiz. Zwar kann K. nicht in Erfahrung bringen, wessen er eigentlich angeklagt ist, er beteuert bis zum Schluß seine Unschuld, doch vor dem Gesetz ist er schuldig. Nach anfänglichem aussichtslosen Kampf gegen seine Verleumder, deren Identität im Dunkeln bleibt, fügt sich K. schließlich in sein Schicksal. Er wird zum Tode verurteilt und hingerichtet...

Bei Literaturverfilmungen ist das natürlich immer so eine Sache (es sei denn, man heißt James Ivory und ist Spezialist für E.M. Forster!). 1962 wagte sich bereits Orson Welles an die filmische Umsetzung des alptraumhaften, klaustrophobischen Romans von Franz Kafka, mußte insofern jedoch scheitern, als daß sein Schwarz-weiß-Film (mit Anthony Perkins in der Hauptrolle) zwar die verstörende kafkaeske Stimmung einzufangen vermochte, ansonsten aber sehr wenig mit der Romanvorlage zutun hatte.
Im Gegensatz dazu hält sich Regisseur David Jones (84 Charing Cross Road) in dieser Neuverfilmung sehr genau an Kafkas Buchoriginal, nicht zuletzt dank Drehbuchautor Harold Pinter. Wer sich also die Lektüre von Kafkas Roman ersparen will, der tut gut daran, sich wenigstens diese Prozeß-Verfilmung anzuschauen.
Die vielen Verrisse in der Kritik, die dieser Film einstecken mußte (Cinema vergab gerade mal 20%), scheinen mir aus verschiedenen Gründen höchst ungerechtfertigt. Was hat man denn von dieser Prozeß-Verfilmung (eine BBC-Fernsehproduktion mit geringem Budget) erwartet? Einen großen experimentellen Film, der auch noch das Publikum in Scharen in die Kinos lockt? Kafkas subtiler Roman, werkgetreu verfilmt, bietet nun mal nicht die Grundlage für einen atemberaubenden Action-Film, einen spannenden Psycho-Thriller oder eine Love-Story in bewährter Hollywood-Manier. Natürlich, wer Kafkas Romane und Kurzgeschichten ohnehin langweilig findet und nicht viel damit anzufangen weiß (vielleicht auch, weil man einst im Deutschunterricht zu sehr damit gequält wurde?!), wird freilich auch auf der Leinwand keine Freude daran finden und den Kinosaal frühzeitig verlassen. So ist Der Prozeß ein Film, der gewiß nur eine sehr kleine Zielgruppe ansprechen und begeistern kann, was aber bei Literaturverfilmungen nichts Ungewöhnliches und meines Erachtens gar nicht so schlimm ist. Auch solche Filme muß es geben.
Nachdem uns Orson Welles die experimentelle Prozeß-Umsetzung ja bereits geliefert hat, ist es nur zu begrüßen, daß David Jones auf einen eher realistischen Stil zurückgreift. Josef K.'s Verirrungen im Labyrinth des Gesetzes werden nicht mit allerlei filmischen Mätzchen, alptraumhaften Kamerafahrten und dergleichen in Szene gesetzt. Der Drehort an Originalschauplätzen in Prag bietet auch so eine Kulisse, die der klaustrophobischen Stimmung im Roman durchaus gerecht wird. K's Weg durch die Instanzen wirkt vielmehr gerade aufgrund des Realismus', mit dem der Regisseur die Geschichte schildert, völlig absurd und verstörend.
Kyle MacLachlan (Twin Peaks) scheint mir persönlich für die Rolle des faden, gewöhnlichen und leicht aufmüpfigen Bankangestellten Josef K. wie geboren, zumal auch eine äußerliche Ähnlichkeit mit dem Autor Franz Kafka vorhanden ist. Auch daß man als Zuschauer MacLachlans Twin Peaks-Image im Hinterkopf hat, kommt seiner Darstellung des Josef K. eher zugute, als daß es ihr schadet (wenngleich ich an einigen Stellen nur darauf gewartet habe, daß er gleich sein Diktiergerät Diane zückt!).
Auf Anthony Hopkins' Auftritt als Priester (Gefängniskaplan!) muß man dann allerdings bis zum Schluß, bis zum eigentlichen Höhepunkt der Erzählung warten. Doch das beinahe 100-minütige Ausharren lohnt sich! Ganz in Hannibal Lecter Manier (mit pomadig zurück gekämmtem Haar, stechendem Blick und einigen atemberaubenden lectermäßigen Nahaufnahmen) spricht er von seiner Kanzel im Dom herunter zu Josef K., der hier austauschbar mit Clarice Starling auf der Suche nach der Wahrheit wäre. Ja, die Anspielung auf Hannibal Lecter und Das Schweigen der Lämmer scheint mir in dieser Szene ganz offensichtlich und beabsichtigt. Für einen Moment scheint der Unterschied nur darin zu bestehen, daß Anthony Hopkins statt Gefängniskleidung nun das Priestergewand eines Geistlichen trägt! Der Kannibale als ein Mann der Kirche! Gewiß, diese Assoziation ist bitterböse und zynisch.
Hopkins' Priesterfigur ist es dann auch, die Josef K. in einem längeren Monolog die Parabel vom Mann, der vor den Türen des Gesetzes Einlaß fordert, vom Türsteher jedoch davon abgehalten wird, erzählt. Zugegeben, dieses berühmtes Gleichnis Vor dem Gesetz ist in erster Linie ein beliebtes Puzzlespiel für interpretationswütige Deutschlehrer und Germanisten und wird wohl kaum ein großes Kinopublikum begeistern können. Aber wer hat das schon erwartet?
Jedenfalls sollte man sich nicht abschrecken lassen. Und als Anthony Hopkins Fan schon gar nicht!

© 1993 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.6)

 

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