Was ist es in sich selbst ?

Leider zähle ich zu der bedauernswerten Sorte von Menschen, die es nicht lassen können, ihre Umwelt, sich selbst und die eigenen Handlungsmotivationen unaufhörlich zu hinterfragen und zu einem Problem zu machen. Ich kann nicht einfach dasitzen und die Dinge so nehmen, wie sie sind. Nein, ständig muß alles analysiert, zerpflückt und seziert werden. Nichts entgeht meiner Interpretationswut, aber auch gar nichts! - So kann ich also auch nicht einfach dasitzen und Hopkinsianer sein, ohne mir meine zermürbenden Gedanken darüber zu machen.
Schon allein das Wörtchen "Fan" scheint mir im Halse stecken zu bleiben, ist es doch eine abgekürzte Form des Wortes "Fanatiker" und deshalb zweifelsohne mit Vorsicht zu genießen. Denn einen "Fanatiker", einen, laut Wörterbuch, "Eiferer" und "Glaubensschwärmer" will ich mich nicht schimpfen lassen. Vielmehr ist mir jede Art von Fanatismus ziemlich zuwider.
Die Formulierung im Rechtschreib-Duden, wo es heißt, ein Fan sei ein "überschwenglich Begeisterter", beschwichtigt mich aber dann doch. Also gut, ich gebe es zu: Ich bin begeistert von Anthony Hopkins. Ja, ich könnte mich sogar damit anfreunden, mich als "überschwenglich begeistert" von Mr.Hopkins zu bezeichnen. Schließlich ist die Welt in diesem unserem Zeitalter der Zwangsneurosen und Minderwertigkeitskomplexe voll von "überschwenglich Begeisterten", die sogar nicht selten in Scharen auftauchen, sich auf Massenveranstaltungen wie z.B. Rockkonzerten die Kehle aus dem Hals schreien und sich, Ohnmachtsanfällen nahe, von Sanitätern betreuen lassen müssen. Das jeweilige obskure Objekt ihrer "überschwenglichen Begeisterung" ist dabei beliebig und gänzlich austauschbar.
Aber gerade diese Austauschbarkeit führt mich unvermittelt zum nächsten Problem und zum Zentrum dieser Überlegungen. Warum bin ich ausgerechnet von Anthony Hopkins so "überschwenglich begeistert"? Warum heißen meine Favoriten nicht, wie bei jedem anderen vernünftigen (?) Menschen, Kevin Costner, Bruce Willis oder Michael Douglas? Warum Anthony Hopkins? Was hat dieser Mann denn an sich, das ihn für mich so interessant und faszinierend macht? "Was ist es in sich selbst?" um es mit Lecters Worten zu fragen. So strenge ich mich mit allen Kräften an, jetzt eine Antwort darauf zu finden...
Wie ich bereits in der ersten Hopkins File meinen verworrenen Werdegang als "eingefleischtem" Hopkinsianer geschildert habe, begann spätestens alles mit The Silence of the Lambs, mit "Hannibal the Cannibal" und mit Hopkins' brillanter, minimalistischen Schauspielkunst in dieser Rolle. "Im Ausdruck sparsam wie ein Schotte, schuf er mit kalkulierter Zurückhaltung eine der finstersten Gestalten der Filmgeschichte," resümierte Cinema und trifft damit wahrscheinlich des Pudels Kern.
Lecter, seit Jahren in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, reduziert seine Gestik und sein Mienenspiel auf das Notwendigste. In seiner Zelle bewegt er sich nur langsam, gebärdet sich bedächtig und kontrolliert. Nur selten huscht der Schatten eines Lächelns über seine Lippen und das gänzlich starre und ausdruckslose Gesicht, wäre da nicht dieses elektrisierende Funkeln in den blauen Augen. (In einigen dieser Sequenzen muß man unweigerlich an Richard Burton in 1984 denken.)
"Ich stellte mir Lecter als eine Mischung aus Katherine Hepburn, Truman Capote und HAL vor, dem Computer aus 2001 - Eine Odyssee im Weltraum," erklärt Hopkins. Gewiß, Hannibal Lecter ist ein Automat, eine Tötungsmaschine.
Aber wer Anthony Hopkins und den Großteil seiner Filme kennt, dem wird es bestimmt schwerfallen, in dieser Figur des Hannibal Lecter die vertrauten, typischen Gesten und Verhaltensmuster des Schauspielers wiederzufinden. Eigentlich sah man Hopkins nie zuvor in seiner Laufbahn derart hinter der Maske einer Rolle zurücktreten und verschwinden wie in The Silence of the Lambs. Die Verwandlung ist geradezu perfekt und nicht zuletzt deshalb unbedingt Oscar-preiswert. Denn wäre da nicht Hopkins' bekanntes Gesicht und würde der Vorspann des Films seinen Namen nicht preisgeben, könnte man in der Tat daran zweifeln, daß sich hinter dem Kannibalen Lecter der Schauspieler Anthony Hopkins verbirgt. Hopkins ist nicht Lecter. (Obwohl Lecter ohne die Verkörperung durch Hopkins nicht zu denken ist.) Beide haben in ihrer Gestik und Mimik, im Klang ihrer Stimme, so gut wie nichts miteinander gemein. - Um so mehr sollte es mich also wundern, daß meine anfängliche Faszination für die Kunstfigur Hannibal Lecter in eine noch größere überschwengliche Begeisterung für den Schauspieler Anthony Hopkins umgeschlagen ist. Denn da Hopkins nicht Lecter ist, muß das eine nicht zwangsläufig das andere ergeben.
Mittlerweile ist Hannibal Lecter längst nicht mehr meine Hopkins-Lieblingsrolle. Ja, je öfter ich The Silence of the Lambs sehe, desto mehr fehlt mir seltsamerweise Anthony Hopkins darin! In Lecters Auftreten vermisse ich zusehends Hopkins' typische und unverwechselbare Motorik: Die Hand an der Stirn oder am Hinterkopf, das Kinn aufgestützt auf das Handgelenk, das breite, schelmische Grinsen, die Sprechpausen im Formulieren von Sätzen, als suchte er noch nach den richtigen Worten. (Und wenn ich so weiter mache, wird man noch glauben, wir seien verliebt!) So zitiere ich zwar zur allgemeinen Entnervung meiner Mitmenschen (und deren Anrufbeantworter) immerzu den guten "Hannibal the Cannibal" ("Wie offen Sie sprechen, Bettina!"), doch im Grunde genommen ist mir Lecter mittlerweile ziemlich fremd. Zwar hat The Silence of the Lambs wie kaum ein anderer Film mein Leben beeinfluß, doch den Schauspieler Hopkins sehe ich heute lieber in anderen Filmen, so z.Bsp. in Magic, The Good Father, Heartland oder auch in The Dawning. Filme, in denen Hopkins unverwechselbar Hopkins ist. Oder in denen zumindest seine "liebenswerten Eigenheiten" wiederzufinden sind. Irgendwie ist mir die Person Hopkins mehr und mehr zu einem vertrauten Bekannten, zu einem alten Freund geworden, mit dem man auf Veranstaltungen wie Oscarverleihungen mitzittert, als müßte man gleich selbst aufstehen und die Trophäe dankbar entgegennehmen. Was ich damit sagen will: Ich kann die Frage "Was ist es in sich selbst?" heute nicht mehr mit meiner überschwenglichen Begeisterung für Hannibal Lecter und The Silence of the Lambs beantworten. Der Blick muß vielmehr von Lecter abgewandt und auf Hopkins selbst gerichtet werden. Also gönnen wir uns doch mal einen Blick auf Anthony Hopkins' äußere Erscheinung, bzw. lassen wir ihn doch zunächst selbst kurz Stellung dazu nehmen. Auf die Frage, was er an sich selbst am wenigsten schätzt, antwortete er: "Meinen massigen Rumpf, mein Brustumfang ist zu groß. Ich schaue in den Spiegel und erwarte Jeremy Irons oder Anthony Perkins zu sehen, - statt dessen steht ein gedrungener Waliser vor mir!"
Eine solche Äußerung, im übrigen mal wieder typisch für ihn, zeugt nicht nur von einer gehörigen Portion Humor und Selbstironie, sondern spricht auch für ein gesundes Maß an Selbsteinschätzung. Denn seien wir doch mal ehrlich: Er hat ja irgendwie recht! Seine Körpergröße von 1,72m liegt zwar eindeutig über dem walisischen Durchschnitt, muß aber, an Hollywood-Standarten gemessen, als recht klein bezeichnet werden. Und ziehen wir weitere Vergleiche zu diversen Hollywood-Schönlingen, sind wohl auch Hopkins' Körperproportionen ein wenig umfangreich und zueinander seltsam unförmig, - wenngleich das Attribut "gedrungen" leicht übertrieben erscheinen mag. Maßgeschneiderte Anzüge sind bei Anthony Hopkins jedenfalls nicht nur eine Frage des Prestiges und guten Geschmacks, sondern zweifelsohne auch dringend notwendig!
Bei näherer Betrachtung weist auch sein Gesicht einige Unstimmigkeiten auf, die an dieser Stelle nicht länger unberücksichtigt bleiben sollten: Sein Gesicht darf wohl als eher rundlich bzw. mondförmig bezeichnet werden, was sich jedoch für Hopkins' Beruf als sehr günstig erweist, da mondförmige Gesichter gut zu schminken und somit der Wandlungsfähigkeit eines Schauspielers äußerst zuträglich sind. Übrigens gilt zuletzt Gesagtes auch für etwaige kahle und von Haarausfall bedrohte Stellen am Kopf, lassen sich ja bekannterweise Toupets, Perücken und sonstige Haarersatzteile viel besser und dezenter auf wenig vorhandenem Echt-Haar befestigen.
Die ersten ernsthaften Unstimmigkeiten werden bei genauerer Betrachtung von Nase und Ohren sichtbar. Letztere, nämlich die Ohren, sind recht auffällige, große Exemplare, die man mit der saloppen Bezeichnung "Schlappohren" einigermaßen treffend umschreiben könnte. (Bob drückte sich übrigens diesbezüglich in einem Brief an mich schon etwas drastischer aus: "Das ist kein Umhang, den er da immer trägt, sondern seine Ohren!" - Naja gut, nobody is perfect!)
Was die hopkinsche Nase betrifft, muß gleichfalls Nachsicht geübt werden. Ein wenig unförmig, knollenwüchsig und schief bildet sie unverkennbar den Mittelpunkt seines Gesichts (was auch sonst?), besitzt aber auch all jene Qualitäten, welche häufig wesentliche Bestandteile eines Charakterkopfes ausmachen.
Da bei extremen Nahaufnahmen gut sichtbar, verdient in diesem Zusammenhang wohl auch die markante Furche (Falte? Narbe?) an Hopkins' linker Stirnhälfte einige Worte der Erwähnung. Vom Haaransatz verläuft sie länglich über die Stirn nach unten bis zur linken Augenbraue und verleiht somit seinem Ausdruck oft etwas unberechenbar Gefährliches. Wohlgemerkt trägt der gute Anthony diesbezüglich selbst ganz gern ein wenig dick auf: "In mir steckt eigentlich ein wahrer Teufel, und den sieht man mir auch an!" meint er. Ich weiß nicht, aber ich bin da etwas skeptisch. Gewiß, den Teufel im Leib wollen wir ihm ja gönnen, aber privat wirkt Mr.Hopkins doch eher harmlos. Obwohl ich nicht so weit gehen würde, mich der Beschreibung aus Theater Heute anzuschließen, wo es schlicht und ergreifend heißt: "Hopkins ist ein mittelgroßer Mann mit einem freundlich-rundlichen, etwas pomadigen Babyface. Äußerlich erinnert er ein wenig an den deutschen Umweltminister Walter Wallmann."
"Es sind die Augen, die es machen," erklärt uns hingegen Lisa Liebmann in der Zeitschrift Interview. "Hopkins' klare, hellblaue Augäpfel schweifen in die Ferne und sind ununterbrochen in Bewegung während er spricht. Nur gelegentlich finden sie Ruhe und fixieren einen plötzlich mit starrem Blick." - Dieser treffenden Beobachtung will ich dann auch nichts weiter hinzufügen, außer nur noch mal bestätigen, daß es in der Tat die stechenden, blauen Augen sind, die faszinieren und auch mein Interesse an Hopkins geweckt haben. - Aber soweit ich mich erinnere, haben auch Kevin Costner, Mel Gibson und Clint Eastwood blaue Augen. Überhaupt sind blaue Augen unter Schauspielern und allgemein unter Homo Sapiens recht verbreitet, was also letztendlich gar nichts klärt und mir bei der Beantwortung der Frage, warum ich denn nun ausgerechnet von Mr.Hopkins so überschwenglich begeistert bin, nicht weiter hilft.
Also vergessen wir mal wieder ganz schnell die blauen Augen, für die der Mensch ja ohnehin nichts kann. Stellen wir uns lieber eine andere Frage, die sich nach der Betrachtung von Anthony Hopkins' äußerer Erscheinung einigen vielleicht aufdrängt: Könnte es sein, daß Mr.Hopkins eventuell in die seltsame und zugegebenermaßen sehr subjektive Kategorie "Sexsymbol" einzuordnen ist? (Und an dieser Stelle verbietet der Anstand jede Form von herzhaftem Gelächter!) So hören wir doch einfach mal, was Tony selbst darüber zu sagen weiß (oder auch nicht): "Ich weiß nicht, was Frauen eigentlich an mir finden," sagt er, bescheiden wie immer. "Das ist sehr schmeichelhaft. Trotzdem bin ich immer fürchterlich überrascht, das zu hören. Und meistens werde ich dann rot." - Trotzdem glaube ich, dem "gedrungenen Waliser" durchaus eine gehörige Portion Sex-Appeal attestieren zu können und spreche damit sicherlich auch im Namen der spätestens jetzt ebenfalls errötenden Leserschaft dieses Magazins. Hopkins ist vielleicht nicht der Mann für gewisse Stunden. Dennoch besitzt er dieses gewisse Etwas, - was auch immer das sein mag...
Natürlich bin ich mir darüber bewußt, daß sich die Frage nach den obersten Prinzipien, das "Was ist es in sich selbst?", nicht allein mit Hopkins' äußerer Erscheinung, mit seiner Art sich zu bewegen und zu artikulieren beantworten läßt. Das wäre wohl in der Tat eine sehr oberflächliche und zweifelhafte Vorgehensweise. Dennoch bleibt mir natürlich in Anbetracht der Tatsache, daß dieser Text ohnehin schon viel zu lang geraten ist, nichts anderes übrig, als mich nur auf Äußerlich- und Oberflächlichkeiten zu beschränken. Außerdem ist es schon spät...
Was ist es also in sich selbst?
Um ehrlich zu sein, denke ich mittlerweile, daß das eigentlich nur jeder subjektiv für sich selbst beantworten kann und sollte. Die Ursachen und Beweggründe einer "überschwenglichen Begeisterung", sei sie für einen Schauspieler, einen Popstar oder was auch immer, sind gewiß verschieden und sicherlich auch immer mit einer jeweils unterschiedlichen Vorgeschichte verbunden. Es ist wohl gänzlich unmöglich, das alles auf einen Nenner zu bringen.
Für mich persönlich habe ich die Frage dennoch beantworten können. Nur sehe ich eigentlich keine Veranlassung dazu, an dieser Stelle mehr als nur an der Oberfläche zu kratzen. Denn mein innerstes Selbst sollte ich nun wirklich nicht auf die Menschheit loslassen! Das ist nicht nur ziemlich uninteressant, sondern auch unangebracht. Zumal wir es doch auch viel lieber Anthony Hopkins überlassen, uns das Fürchten zu lehren!

© 1992 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.4)

 

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