Bram Stokers Dracula
Bram Stokers Dracula

USA 1992
Regie: Francis Ford Coppola / Produzent: Francis Ford Coppola, Fred Fuchs und Charles Mulvehill / Kamera: Michael Ballhaus / Musik: Wojciech Kilar / Drehbuch: James V.Hart nach dem Roman Dracula von Bram Stoker
Mit: Gary Oldman (Dracula), Anthony Hopkins (Abraham Van Helsing), Winona Ryder (Mina), Keanu Reeves (Jonathan), Richard E. Grant (Dr. Seward), Tom Waits (Renfield), Sadie Frost (Lucy) u.a.

Vampir-Jäger Hopkins

Nachdem sein Hannibal Lecter nun vorerst genug Filmblut verspritzt hat, darf Anthony Hopkins in Coppolas Dracula auf Vampir-Jagd gehen und den Untoten töten. Ein Vorhaben, das natürlich ebenfalls nicht ganz unblutig vonstattengehen konnte. (Coppola organisierte vorsorglich Literweise Kunstblut, wovon das meiste jedoch im Schnittraum landete!)
In anderen Dracula-Verfilmungen begegnete uns Professor Van Helsing meistens als eher alter, farbloser Langeweiler (man denke da nur an Peter Cushings zahllose Interpretationen), dessen Vergangenheit und Vampir-Jäger-Motivation völlig undurchleuchtet bleibt (was allerdings, um ehrlich zu sein, der Stoker-Vorlage durchaus entspricht). Doch Hopkins wäre nicht Hopkins, wenn er Van Helsing, diesem hoch moralischen Apostel des "Guten", nicht auch dunkle Dimensionen abgewinnen könnte: "Ich meine, daß Van Helsing die verschiedenen Gesichter des Terrors und des Todes gesehen hat," erklärt der Schauspieler. "Er weiß um die Natur des Bösen - und kann deshalb relativ gelassen dagegen ankämpfen."
Hopkins' Version des holländischen Wissenschaftlers erinnert (laut eigener Aussage) vielmehr an eine Clint Eastwood Western-Gestalt! Mit breit-krempeligem schwarzen Hut, Bart und Fechtnarbe findet Hopkins einen erfrischend neuen Zugang zu dieser Rolle, ganz nach dem Motto: "Spiele genau das, was keiner von dir erwartet!" Und ganz entgegen sämtlichen Erwartungshaltungen gehören ihm die witzigsten Momente und zynischsten Dialoge im Film. So stößt zum Beispiel Holmwoods Bemerkung "Ich würde meinen letzten Tropfen Blut für sie (Lucy) hergeben" bei Hopkins' Van Helsing auf Verwunderung: "Wirklich? Wie interessant...," lautet sein trockener Kommentar. Hannibal Lecter läßt herzlich grüßen!
Dennoch hätte der Waliser den Van Helsing-Part wohl kaum angenommen, wenn der Regisseur nicht Francis Ford Coppola geheißen hätte. Als großer Bewunderer von Coppolas Paten-Triologie, Apocalypse Now und Rumble Fish konnte Hopkins beruhigt darauf verzichten, das Dracula-Drehbuch vor Vertragsunterzeichnung überhaupt zu lesen. Der Schauspieler hatte allerdings vor Drehbeginn mehrere Male die kontroverse Apocalypse Now-Dokumentation Hearts of Darkness gesehen (die von Meister Coppola das Bild eines geradezu "wahnwitzig Verrückten" zeichnet) und sah der Zusammenarbeit also auch mit einigen Bedenken entgegen ("Mein Gott, ist das wirklich der Mann, mit dem ich demnächst zusammenarbeiten werde?").
Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten mit Coppolas Arbeitsweise ("Ich wußte zunächst nicht so recht, was er von mir wollte") zeigte sich Hopkins jedoch begeistert: "Natürlich stellte sich bald heraus, daß er ein ganz erstaunlicher Regisseur ist. Wahrscheinlich der beste überhaupt."
Vor allem die vorbereitenden Proben, die Coppola stets von Anfang bis Ende filmt, schienen Hopkins sehr zuzusagen: "Während der Proben - wir waren gerade mit der Szene beschäftigt, in der Van Helsing seine Schüler unterrichtet - sagte Coppola plötzlich: 'Jetzt wollen wir mal sehen, ob Du uns allen hier etwas beibringen kannst!' Daraufhin begannen alle Leute am Set, auch Coppolas gesamte Crew, mir allerlei Fragen an den Kopf zu werfen. Sachen wie: 'Sind Sie eine faustische Figur?' u.s.w. Ich bekam ein paar gute Tips für meine Rolle. Dieser Van Helsing ist durch alle Höhen und Tiefen gegangen, hat alles ausprobiert. Er hat getrunken, Opium geraucht und ist Modigliani begegnet - er ist ein gebrandmarktes Kind."
Auch Van Helsings Outfit (Hut, Bart und Narbe) ist Hopkins' eigene Kreation: "Ich fragte Coppola, ob ich kurz in der Maske etwas ausprobieren könnte. Ich wollte, daß sie mir diese große Duellnarbe auf die linke Gesichtshälfte machen. Als ich zum Set zurückkehrte, fragte mich Coppola, woher ich die Narbe hätte. Ich antwortete: 'Wien, 1876!' Das stellte ihn zufrieden."
Am Filmset selbst avancierte der Oscar-Preisträger bald zur zweiten Vaterfigur (neben Coppola) für die jüngere Schauspieler-Generation. An genügend Selbstbewußtsein scheint es ihm jedenfalls nicht mehr zu fehlen. So bleibt nur zu hoffen, daß Anthony Hopkins auch in zukünftigen Filmprojekten Mut zu eigenwilligen Darstellungen zeigt. Und daß er weiterhin genau das spielt, was niemand erwartet. Denn schließlich ist es das, was Schauspielerei interessant macht!

© 1993 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.5)

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