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Only
Shadows, Joy Die bevorzugte Fragestellung
einer meiner ehemaligen Lehrer (im Hinblick auf Textinterpretationen) lautete stets:
"Wie müssen zwischenmenschliche Beziehungen beschaffen sein, damit sie human genannt
zu werden verdienen?" - Nun, ich weiß zwar nicht, ob es irgendeinen Sinn macht,
diese Frage auch als Interpretationsschlüssel auf Filme anzuwenden, aber es erscheint mir
doch zumindest einen unsinnigen Versuch wert...
Es soll um The Remains of the Day und Shadowlands
gehen, zwei Filme mit Anthony Hopkins, die vielen von uns immer sehr am Herzen gelegen
haben und denen ich deshalb auch diesen letzten Artikel der letzten Hopkins File
(schnief!) widmen möchte...
Zumal ein Vergleich dieser zwei Filme schon allein deshalb sehr nahe liegt, weil sich die
Protagonisten Stevens und Lewis sehr ähnlich sind. Sie beide leben zurückgezogen in
ihrer kleinen, abgeschirmten Welt: Stevens als Butler auf Darlington Hall, Lewis als
Literaturprofessor im Universitätsbetrieb von Oxford. Beide sind eingefleischte
Junggesellen, deren Einsiedlerdasein plötzlich aus den Fugen zu geraten droht, als eine
Frau und schließlich die Liebe in ihr Leben tritt.
Was die Realisierung von Liebesbeziehungen betrifft, scheinen The Remains of the Day
und Shadowlands jedoch auf den ersten Blick zwei unterschiedliche Standpunkte
einzunehmen: In James Ivorys Film bleibt die Liebe unerfüllt (Stevens wartet zu lange und
läßt den Moment verstreichen); In Attenboroughs Shadowlands hingegen findet sie
kurzzeitig Erfüllung (dies jedoch nur im Angesicht des Todes). Am Ende scheitern sie also
doch beide, Stevens und Lewis, - und "der Rest ist Schweigen".
An diesem Punkt muß auch meine Kritik an Shadowlands einsetzen; denn dort, wo am
Ende nur das Schweigen und die Schatten bleiben (der Schlußsatz des Bühnenstücks lautet
nicht umsonst "Only shadows, Joy"), löst sich Attenboroughs Filmversion in
Wohlgefallen und ein paar platten, den Zuschauer versöhnlich stimmen wollenden Sprüchen
und Lebensweisheiten auf. Nach dem Tod der Geliebten hadert Lewis zwar noch ein Weilchen
mit Gott und der Welt, schließt aber letztendlich Frieden. "Der Schmerz, den ich
jetzt fühle, ist Teil meines früheren Glücks," tröstet er sich am Ende des Films
über alles hinweg und wandelt, von schluchzenden Geigen begleitet, über die strahlend
grünen Wiesen des Golden Valley, dem symbolischen Shadowlands-Himmel. Trotz Joys
Tod also doch so etwas wie ein tröstliches Happy End?
Das, was Attenborough hier betreibt, ist meines Erachtens jedoch nichts als
Augenwischerei. Statt den bitteren Konsequenzen dieser realisierten Liebesbeziehung bis
zum Schluß ins Auge zu blicken, setzt der Regisseur dem Zuschauer eine rosarote Brille
auf, ganz nach dem Motto: Es wird alles gut, - denn der Tod gehört zum Leben dazu.
James Ivorys The Remains of the Day ist da der wesentlich ehrlichere Film, der auch
am Ende keinen Rückzieher vor dem unweigerlich Folgenden macht oder gar so tut, als ob
irgendwie doch noch alles gut werden könnte. Was für Stevens vom Tage übrigbleibt, das
sind wahrlich nichts als Schatten. Während Lewis in Shadowlands behauptet, auf
seine Fragen keine Antworten mehr zu wissen, dann aber (zur Versöhnung des Kinogängers?)
doch mit irgendwelchen altklugen Antworten daherkommt, gibt es für Stevens und dem
Zuschauer von The Remains of the Day diese verlogene Versöhnung mit Gott und dem
Leben nicht. In der Schlußsequenz von Ivorys Film gelingt es zwar der verirrten Taube,
Darlington Hall zu entkommen, Stevens jedoch bleibt zurück, weiterhin und bis zum Schluß
ein Gefangener. Es gibt kein Happy End, nicht einmal ein vorgegaukeltes wie in Shadowlands.
Das hinterläßt freilich einen äußerst bitteren Nachgeschmack und macht diesen Film
nicht gerade zu einer leicht verdaulichen Kost.
Es stellt sich die Frage, ob es für Stevens überhaupt einen Ausweg, eine Rettung, aus
diesem letztendlich doch "verpfuschten Leben" hätte geben können? Einer der
Schlüsselmomente des Films ist zweifelsohne die berühmte Buch-Szene zwischen Miss Kenton
und Mr. Stevens. Hier ist für Stevens der Augenblick gekommen, sich für oder gegen eine
Realisierung dieser Liebesbeziehung zu entscheiden. Obwohl der Kinobesucher in dieser
Szene am liebsten von seinem Platz aufspringen und dem Butler zurufen möchte, Miss Kenton
doch endlich in die Arme zu nehmen und zu küssen, entscheidet sich Stevens (zum Leidwesen
des Zuschauers!) gegen die Realisierung dieser Liebe. Dies ist jedoch meines Erachtens (so
zynisch das auch klingen mag) die einzig richtige Entscheidung! Denn seien wir doch mal
ehrlich: Was wäre andernfalls eigentlich aus dieser Liebe zwischen dem Butler und der
Haushälterin geworden? In Anbetracht ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation,
hätten beide da überhaupt eine langfristige Chance gehabt? Hätten sie wirklich
miteinander glücklich werden können? Ja, ist denn die Realisierung einer Liebesbeziehung
Garant für ein Happy End? Oder war Stevens' Entscheidung nicht doch am Ende die einzig
richtige, die humanste? Ich plädiere in der Tat für letzteres! (Zumal die besagte
Buch-Szene zu einer der schönsten Liebesszenen der Filmgeschichte zählt!) Auch möchte
ich in diesem Zusammenhang die Frage in den Raum werfen, ob "unerfüllte Liebe"
denn weniger Wert und Wahrheit besitzt als "erfüllte"?
Stevens scheint jedenfalls zu der Einsicht zu kommen, einen großen Fehler gemacht zu
haben, einen Fehler, den er hofft, bei seinem Wiedersehen mit Miss Kenton wiedergutmachen
zu können. Dazu ist es jedoch zu spät. (Zum Glück, möchte man bald sagen, da uns
ansonsten auch eine der schönsten Abschiedsszenen der Filmgeschichte entgangen wäre!)
The Remains of the Day läßt am Ende nicht nur einen einsamen Mr.Stevens und eine
unglückliche Miss Kenton zurück, auch der Zuschauer verläßt traurig und recht ratlos
das Kino. Denn was vom Tage übrigbleibt muß nicht zwangsweise ein entschiedenes
"Carpe Diem!" sein; es kann auch auf die schonungslosere Aussage hinauslaufen:
Es gibt keine zwischenmenschlichen Beziehungen, die human genannt zu werden verdienen.
(Oder, um es der Ausgewogenheit halber mit Loriots Worten zu sagen: "Männer und
Frauen passen einfach nicht zueinander!")
Das "Carpe Diem" des C.S. Lewis, das er am Ende von Shadowlands so
salbungsvoll predigt, ist meines Erachtens doch eigentlich nichts als Selbstbetrug und
eine Verschleierung dessen, daß spätestens der Tod jede zwischenmenschliche Beziehung
auflöst. Was für C.S. Lewis vom Tage übrigbleibt, das ist im Grunde ähnlich der
Einsamkeit und Leere eines Mr. Stevens. Beide sind am Ende alleine. Only shadows, Joy. Der
einzige Unterschied besteht darin, daß sich Stevens den Selbstbetrug eingesteht, ein
Leben lang seinem Herrn Lord Darlington vertraut und ihm "sein Bestes" gegeben
zu haben. Lewis hingegen kehrt in der Not zu seinem Glauben an Gott zurück. Dies rettet
ihn davor, auch sein Leben als ein "verpfuschtes" bezeichnen zu müssen.
Zumindest ist es das, was uns Richard Attenborough vorgaukeln möchte...
Ich gebe es ja zu, diese von mir hier vorgetragene Sicht
der Dinge ist natürlich durch und durch pessimistisch und deprimierend. Sorry! Aber für
den letzten Artikel der allerletzten Hopkins File kamen mir halt irgendwie keine
positiveren Gedanken in den Sinn!
"Ich habe in den letzten zehn Jahren nur Männer gespielt, die halb tot waren, und
das habe ich gründlich satt. So etwas wie den Butler in Was vom Tage übrigblieb:
nie wieder! Dieses freudlose, triste Leben eines Mannes, der zu hilflos oder zu dumm war,
etwas daran zu ändern. Solche Rollen sind Fallen. Ich kann keine Toten mehr
spielen." - Dieser Auszug aus einem Interview zählt zu einer ganzen Reihe von
ähnlichen Äußerungen, die Anthony Hopkins im vergangenen Jahr getätigt hat. Alles
weist also darauf hin, daß wir uns in Zukunft auf einen veränderten, neuen Sir Anthony
Hopkins einstellen sollten; Einen Anthony Hopkins in anderen, neuen Rollen, - in
Darstellungen, die nie zuvor ein Fan von ihm gesehen hat!
Ja, ich weiß, man sollte seine Statements wahrlich nicht immer für bare Münze nehmen.
Vieles von dem, was er in Interviews so von sich gibt, mag zwar für den Moment gelten und
seiner Überzeugung entsprechen, kann aber am nächsten Tag schon wieder ganz anders
aussehen. So hieß es da schließlich vor noch nicht allzu langer Zeit mehrfach aus seinem
Munde, daß er die Schauspielerei ganz an den Nagel hängen und zukünftig nur noch Regie
führen wolle. Was das betrifft, können wir Fans jedoch mittlerweile wieder beruhigt
aufatmen. Jüngsten Äußerungen zufolge lautet die aktuelle Devise vielmehr: Nie wieder
Regie führen! Und auch das muß nicht zwangsweise letzter Stand der Dinge bleiben.
Ob es sich nun bei dem Vorhaben, den verschlossenen, freudlosen und eher düsteren
Charakteren wie Stevens oder Lewis endgültig den Rücken zu kehren, nur um eine weitere
vorübergehende Laune handelt oder ob er diesmal wirklich ernst damit macht, bleibt
abzuwarten.
Trotzdem sollte man sich wohl darauf gefaßt machen, von Stevens & Co. Abschied nehmen
zu müssen. Ich für meinen Teil werde sie sehr vermissen. Denn wer wird sich nun nach
Anthony Hopkins den Mr.Stevensens dieser Welt annehmen?
© 1996 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.16)
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